Sag, dass du eine von ihnen bist
erschrickt er gern Kinder. Wenn ich den Zauberer sehe, renne ich weg. Papa, sein eigener Neffe, will ihn nicht im Haus haben, aber Maman duldet den Zauberer. »Er ist trotz allem ein Verwandter«, sagt sie. Tonton André, Papas einziger Bruder, hasst ihn sogar noch mehr. Auf der Straße grüßen sich die beiden nicht einmal.
Papa sagt, obwohl ich ein Mädchen bin, wird mir nach seinem Tod das Kruzifix gehören, denn ich bin die Erstgeborene. Ich werde es behalten, bis ich selbst ein Kind bekomme. Manche Leute lachen Papa aus, wenn er sagt, er würde es an mich, ein Mädchen, weitergeben. Andere zucken mit den Achseln und stimmen Papa zu, weil er auf der Universität war und bei der Regierung arbeitet. Manchmal, wenn Tonton André und seine Frau, Tantine Annette, uns besuchen, loben sie Papa für seine Entscheidung. Tantine Annette ist schwanger, und ich weiß, sie werden es genauso machen, wenn Gott ihnen als Erstes ein Mädchen schenkt.
Ohne seinen Ausweis würde man Tonton André kaum glauben, dass er Papas Bruder ist. Er sieht aus wie eine Mischung aus Papa und Maman – groß wie Maman, aber nicht so dunkel wie Papa. Er hat einen winzigen Bart. Tantine Annette ist Mamans beste Freundin. Obwohl sie eine Tutsi ist wie Maman, ist sie so dunkel wie Papa. Manchmal verlangt die Polizei auf der Straße ihren Ausweis, um ihre Herkunft zu prüfen. In letzter Zeit spötteln meine Eltern, dass sie bestimmt sechs Babys auf die Welt bringt, so dick ist ihr Bauch. Bislang hatte sie jedes Mal, wenn sie schwanger war, eine Fehlgeburt, und alle Welt weiß, dass der Fluch des Zauberers schuld daran ist, aber Tonton und Tantine sind stark im Glauben. Manchmal küssen sie sich sogar in der Öffentlichkeit wie die Belgier im Fernsehen, was unseren Leuten gar nicht gefällt. Aber sie kümmert das nicht. Für die ärztlichen Untersuchungen fährt Tonton An
dré mit ihr immer in ein gutes Krankenhaus nach Kigali, und Papa und unsere übrigen Verwandten helfen mit Geld aus, da die beiden nur arme Grundschullehrer sind. Der Zauberer hat auch Geld angeboten, aber von ihm nehmen wir nichts. Wenn er auch nur einen Franc dazugäbe, würde sein schlechtes Geld die vielen guten Gaben verderben, genau wie die kranken, hungrigen Kühe im Traum des Pharao.
Abrupt steht Maman auf. »Monique, vergiss nicht, hinter mir abzuschließen! Euer Papa kommt bald zurück.« Ich höre sie in die Küche gehen. Sie zieht die Hintertür auf und bleibt einen Moment stehen. Dann knallt die Tür zu. Sie ist fort.
Ich zünde die Kerze wieder an, gehe in die Küche und schließe ab. Wir essen Reis und Fisch und gehen zurück auf unser Zimmer. Ich ziehe Jean seinen Flanellschlafanzug an und singe ihm was vor, bis er einschläft. Dann streife ich mein Nachthemd über und lege mich neben ihn.
Im Traum höre ich Tonton Andrés Stimme. Sie klingt besorgt, so wie gestern Nachmittag, als er kam, um Papa zu holen. »Shenge, Shenge, du musst mir die Tür öffnen!«, schreit Tonton André.
»Warte, ich komme«, versuche ich ihm zu antworten, aber in meinem Traum habe ich keine Stimme, und meine Beine sind zerschmolzen wie Butter in der Sonne. Draußen herrscht helle Aufregung, und Schüsse laut wie Bomben sind zu hören.
»Komm zur Vordertür, rasch!«, ruft er wieder.
Ich wache auf. Tonton André ist tatsächlich vor unserem Haus und ruft.
Ich gehe ins Wohnzimmer und knipse das Neonlicht an. Mir tun die Augen weh. Leute hämmern an unsere Tür. Ich sehe, wie sich die Klingen von Macheten und Äxten in das Holz bohren und Löcher aufreißen. Zwei Fenster sind eingeschlagen, Gewehrkolben und udufuni lugen ins Zimmer. Ich weiß nicht, was vor sich geht. Die Angreifer können mit ihren Ge
wehren und kleinen Hacken nicht durch die Fenster, weil davor Gitterstäbe sind. Verängstigt hocke ich mich auf den Boden und halte mir die Ohren zu, bis die Leute draußen aufhören und sich zurückziehen.
Wieder höre ich Tonton Andrés Stimme, doch klingt sie diesmal so tief und gelassen wie immer; draußen ist alles still.
»Mein armes, liebes Ding, musst keine Angst haben«, sagt er und lacht so vertrauensvoll wie Jean. »Sie sind fort. Dein Papa ist hier bei mir.«
Ich suche mir einen Weg durch die Glasscherben und öffne die Tür, doch drängt Tonton André mit einer Gruppe von Leuten herein, Männer und Frauen, alle bewaffnet.
»Wo ist Maman?«, fragt er.
»Maman ist ausgegangen.«
Er wirkt wie ein Verrückter, das Haar so wild, als hätte er es ein Jahr lang nicht
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