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Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwem Akpan
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Wiedergeborenen oder Anhängern der Stammesreligionen. Seine Bekehrung hatte für sie keine Bedeutung. Ihre Blicke erinnerten ihn an die Blicke seiner fundamentalistischen muslimischen Freunde Musa und Lukman.
    Als sie anfingen, ihn erneut zu verhöhnen, geschah dies nicht so sehr wegen seiner Nord-Süd-Behauptungen, sondern wegen seiner vorgeblichen christlich-muslimischen Identität. Sie sagten, er solle doch den verstümmelten Arm heben, damit Mohammed ihm zu Hilfe eile. Er widersetzte sich nicht. Er gehorchte und reckte den Stumpf so hoch und gerade hinauf, wie er nur konnte.
    Da er genau wusste, dass ihn diese Leute nicht verschonen würden, wandte er sich wieder dem Gott des Islam zu, jenem Gott, den er wahrhaftig kannte, auch wenn die Reise seine fanatische Weltsicht auf immer verändert hatte. Er befreite seine Seele von dem Verlangen, Christ zu sein. Bei all dem, was er gesehen und erfahren hatte, konnte er nicht vergessen, auf welche Weise ihm von Allah während seiner Flucht geholfen worden war. Er hob den Stumpf für Mallam Abdullahi und seine
Familie in die Höhe, dafür, dass ihm durch sie ein neuer Weg aufgezeigt worden war. Er hob ihn zu Ehren der Christen, die ihn mit muslimischen Gebetsmatten bedeckt hatten. Er hob ihn für jene Nordbewohner, die ihr ganzes bisheriges Leben im Süden verbracht hatten und sich nun wie er mit der beunruhigenden Aussicht konfrontiert sahen, zum ersten Mal nach Hause zu fahren. Er hob den Stumpf für Yusuf, der sich, als der entscheidende Augenblick kam, geweigert hatte, seinem Glauben zu entsagen; er fühlte sich mit ihm vereint, auch wenn sie jetzt unterschiedlichen Religionen und Welten angehörten. Für ihn war der Stumpf ein Zeugnis seines Verlangens, Allah zu folgen, wohin der Weg auch führte, für seine Sehnsucht, eins mit ihm zu werden.
     
    »Bindet ihn los … ihr verfluchten RUF -Rebellen!«, knurrte Oberst Usenetok, den der Lärm nun doch noch geweckt hatte.
    Der Anblick eines Amputierten hatte dem fragilen Geisteszustand des Soldaten einen neuen Schlag versetzt. Für ihn gab es keinen Unterschied zwischen einer religiös motivierten Amputation und den von RUF -Rebellen abgehauenen Gliedmaßen. Er hatte den Verstand verloren, weil er in Sierra Leone und Liberia gegen solche Grausamkeiten ankämpfen musste.
    »Willst du für diesen Muslim sterben, Soldat?«, warnten ihn die Flüchtlinge. »Das hier ist nicht Liberia oder Sierra Leone!«
    »Ich sag, bindet ihn los … jetzt!!!«
    Häuptling Ukongo ermahnte ihn: »Ihr seid einer von uns, Oberst Usenetok! Ich sage es noch einmal: Respektiert die Demokratie, für die Ihr gekämpft habt, respektiert sie hier im Bus. Respektiert unsere Meinung!«
    Der Oberst würde sie nicht darum bitten, Jubril freizugeben. Er stürmte das Femegericht und nahm es mit ihnen allen auf. Er war Soldat; er kämpfte ehrenvoll, um einen Bürger zu retten. Er kämpfte, als ob er allein das Bild des Militärs von je
ner unsäglichen Schande und Pein reinwaschen konnte, die es über das ganze Land gebracht hatte.
    Der Fahrer sah sich gezwungen, den Bus anzuhalten, doch der Soldat kämpfte unerschrocken weiter, denn schon lang, ehe die Flüchtlinge ihn und Jubril nach draußen zerrten, um ihnen beiden die Kehle durchzuschneiden, war er durch seine Opfertaten im Ausland auf das hier vorbereitet worden. Die Passagiere hätten den toten Soldaten mit nach Hause genommen, wären sie von der Polizei nicht daran erinnert worden, dass der Regierungserlass den Transport von Leichen verbot.
     
    Nduese stand vor den beiden Leichen und bellte immer wieder den Himmel an. Der Hund hielt den noch zuckenden, protestierenden Armstumpf für ein Zeichen von Leben.

Sag, dass du eine von ihnen bist
    Ich bin neun Jahre und sieben Monate alt. Ich bin zu Hause in meinem Zimmer und spiele Guck-guck mit meinem kleinen Bruder Jean. Es ist Samstagabend; die Sonne ist hinter die Hügel gesunken. Draußen herrscht Stille, nur manchmal trägt der Abendwind einen Schrei zu unserem Bungalow herüber. Unsere Eltern lassen uns seit gestern nicht aus dem Haus.
    Maman kommt ins Zimmer und löscht das Licht, noch ehe wir sie sehen. Jean weint im Dunkeln, doch kaum hat sie angefangen, ihn zu küssen, kichert er. Er reckt sich und will von ihr umarmt werden, aber sie ist in Eile.
    »Mach heute Abend kein Licht an«, flüstert sie mir zu.
    Ich nicke. » Yego , Maman.«
    »Nimm deinen Bruder und komm mit.« Ich nehme Jean auf den Arm und folge ihr. »Und öffne auf keinen Fall

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