Sag, dass du eine von ihnen bist
fummelte ich eine Weile herum, bis ich das Schlüsselloch fand. Der Schlüssel passte nicht. Ich zog ihn heraus und legte ihn auf den Mörtelsack. Als der zweite Schlüssel auch nicht passte, legte ich ihn ebenfalls beiseite. Ich bebte und hatte Angst, der dritte Schlüssel könnte ebenfalls nicht passen, also hielt ich einen Moment inne und versuchte, mich zu beruhigen. Die Wache nieste, das Bett quietschte. Ich lehnte mich an den Fensterrahmen, kämpfte gegen das wachsende Gefühl, unsere Flucht könnte scheitern, und wartete einige Minuten, um der Wache Zeit zu lassen, wieder in tiefen Schlaf zu sinken.
Schließlich probierte ich den dritten Schlüssel, drehte, und mit einem Schnappen sprang der Bügel auf. Erst als ich mich vergewissert hatte, dass niemand etwas gehört hatte, nahm ich das Schloss ab und steckte es mir mit dem Schlüssel in die Tasche. Anschließend drückte ich behutsam gegen das Fenster, bis es aufging und mir frische Luft ins Gesicht wehte.
Es war eine kühle, klare Nacht, und gedämpftes Mondlicht fiel ins Zimmer. Alles schien still und friedlich. Ich schloss das Fenster wieder, schlich zurück zum Bett, tippte Yewa sanft auf die Schulter und wartete, bis sie sich aufsetzte und zu kratzen begann. »Kotchikpa«, sagte sie verschlafen.
»Ja«, flüsterte ich. »Sei leise.«
»Gehen wir wieder ins Wohnzimmer? Wo ist die Wache?«
»Wir laufen weg … sei nicht so laut.«
»So laut?«
Ich schüttelte sie kräftig.
»Wir besuchen Fofo Kpee im Krankenhaus«, log ich und führte sie behutsam vom Bett fort.
»Jetzt?«
Ich hob sie auf die Zementsäcke, öffnete das Fenster, forderte sie auf, nach draußen zu klettern, und hoffte, ihr gleich folgen zu können. Ich schob sie mit dem Kopf voran zum offenen Fenster, doch kaum fuhr ihr der Wind ins Gesicht, schrie sie auf. Jetzt war sie hellwach; sie sprang von den Mörtelsäcken und wich zum Bett zurück. Ich zerrte sie erneut in Richtung Fenster, aber sie wehrte sich.
»Was kämpft ihr da mitten in der Nacht?«, rief der Wachposten, der sich bereits an der Tür zu schaffen machte.
»Yewa … zum Fenster, spring!«, schrie ich. »Er bringt uns um.«
»Stehen bleiben!«, rief der ins Zimmer stürmende Wachposten.
Ich stieß Yewa aus dem Weg, schubste sie zum Geschirrkorb, sprang mit dem Kopf voran durch das Fenster und fing
meinen Sturz mit den Händen ab. Dann rannte ich zu Fofo Kpees Grab, doch war mein Kopf so voll mit Yewas jammervollem Geschrei und dem vom Meer widerhallenden Echo, dass ich vergaß, auch nur einen Blick auf seine letzte Ruhestätte zu werfen.
Ich rannte ins Dickicht, Elefantengrashalme peitschten meine Haut, Dornen und spitze Steine bohrten sich mir in die Füße. Ich zog Schlüssel und Schloss aus der Hosentasche und warf sie ins Gebüsch. Ich rannte und rannte und wusste doch, den herzzerreißenden Rufen meiner Schwester würde ich nie mehr entkommen.
Wie redest du denn?
Beste Freundin sagte, ihr gefielen deine kleinen Augen, das schmale Gesicht, dein Gang und deine Art, Englisch zu sprechen. Sie hieß Selam. Du sagtest, dir gefielen ihre Grübchen, die langen Beine und ihre Handschrift. Ihr hattet beide eine Vorliebe für Smiling Cow -Toffees. Sie war das jüngste Kind ihrer Familie; du warst ein Einzelkind. Die Welt war gerade groß genug für euch beide und eure Geheimsprache ein endloses Gekicher, um das die anderen Kinder euch beneideten. Selam lebte in einer Wohnung in einem roten, zweistöckigen Haus in Bahminya. Du lebtest in einem braunen, zweistöckigen Haus gegenüber.
Viele Tage standet ihr, du und Selam, nach der Schule zusammen auf deinem oder ihrem Balkon und saht zu, wie Selams beide Brüder und deren Freunde auf den hügeligen Straßen ihre selbstgemachten Drachen steigen ließen, wie sie schreiend umherrannten und mit den Füßen äthiopischen Staub aufwirbelten. Die Jungen rempelten Straßenhändler an, die auf ihren Köpfen große Bleche mit CD s trugen; sie rannten gegen Pferdekutschen und schwer beladene Esel, die den Verkehr aufhielten. Sie mieden die Seitengasse, in der die Moschee stand, denn der Imam würde sie verfluchen, wenn sich ihre Drachen am Minarett verfingen. Er hatte ihren Eltern schon in aller Deutlichkeit gesagt, dass Drachen was Ausländisches seien, und ihnen vorgeworfen, dass sie ihren Kindern fremde Sitten beibrächten. Die Eltern von Beste Freundin aber hatten deinen Eltern gesagt, sie hätten dem Imam geraten, er solle lieber nicht versuchen, ihnen zu erklären, wie sie
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