Sag, dass du eine von ihnen bist
sein; die Jalousien waren geschlossen. Wegen des Feuers sah es drüben einsam aus. Du schautest dich um, von anderen Häusern stieg noch schwarzer Rauch auf. Der Himmel war schmutzig grau. Die Esel und Pferde waren fort, an der Straßenecke standen kaputte Kutschen aufgereiht wie dreckiges Geschirr auf der Spüle. Nicht mal Vögel hockten auf den Strom- und Telefonleitungen.
Du wolltest, dass Selam auf den Balkon kam. Du wolltest ihr Gesicht sehen. Dein Herz begann zu rasen, da du dir vorstelltest, sie stünde hinter der Jalousie und wartete auf dich. Du stelltest dir vor, wie sie mit ihren Eltern auf ihrem Bett saß. Du stelltest dir vor, wie ihr gesagt wurde, dass sie sich nun eine neue beste Freundin suchen müsse. Du sahst sie mit Hadiya spielen. Du sahst sie gemeinsam zum Haareflechten gehen und hörtest sie kichern. Aber als du hörtest, wie sie Beste Freundin zueinander sagten, balltest du die Fäuste und wolltest, dass Selam auf den Balkon rannte.
»In unserem Haus hat es auch gebrannt«, sagte Daddy, setzte sich hinter dich und legte dir die Hände auf die Schultern. »Wenn du das Fenster aufmachst, weht Rauch ins Zimmer … Da draußen ist es ziemlich schlimm.«
»Man hat den Peugeot von deinem Daddy demoliert«, sagte Mommy und setzte sich zu ihm aufs Bett.
»Wo ist Selam?«
»Denen da drüben geht es gut, dehna nachew «, sagte sie, und Daddy zog dich vom Fenster fort aufs Bett. »Heute Morgen hat dein Daddy mit ihrem Daddy über euch beide geredet. Es gibt da gewisse Spannungen zwischen denen und uns.«
»Hast du dich mit Emaye Selam gestritten?«
» Ai , nein, sie ist eine liebe Frau«, antwortete Mommy.
Daddy schwieg und beschäftigte sich mit der defekten Fernbedienung und den Batterien. An der Zimmerwand hing die Weltkarte; Etiye Mulu, dein Lehrer, hatte dir in der Schule beigebracht, wie man sie las. Deine Blicke wanderten zu »Afrika, unser Kontinent«; Beste Freundin hatte es mit ihrer hübschen Handschrift geschrieben, und du musstest gegen deine Tränen ankämpfen.
Mommy umarmte dich.
»Hast du dich mit Abaye Selam gestritten, Daddy?«
»Ich habe uns nicht im Sinne von wir gemeint«, antwortete Daddy.
»Es ist nichts Persönliches«, sagte Mommy. »Du weißt, dass sie Moslems sind?«
»Ja.«
»Religionsunterschiede«, sagte er. »Nur Religionsunterschiede.«
»Religion?«
»Es ist kompliziert«, sagte sie.
»Es sind schwierige Zeiten«, sagte er und nickte.
»Sind es böse Menschen?«
»Eigentlich nicht«, antwortete sie.
»Okay«, sagtest du, obwohl du nichts verstanden hattest. »Gehen wir morgen wieder zur Schule?«
»Morgen noch nicht, nega atihedjeem «, sagte Daddy.
»Bald, Kleines, bald«, sagte Mommy.
Am Abend gingen in Selams Wohnung die Lichter an. Du bist zu den Fenstern gerannt, hast die Jalousien geöffnet und hinübergeschaut. Ihre Jalousie war ebenfalls geöffnet, doch war niemand zu sehen. Du hättest dich kneifen mögen, weil du nicht da gewesen warst, als die Jalousie aufging. Schweigend hast du gewartet und gehofft, dass jemand, ein Schatten, am Fenster vorbeiging. Nichts.
Wenn in den nächsten beiden Tagen Mommy aus dem Haus
ging, blieb Daddy bei dir. Wenn Daddy ging, blieb Mommy. Die Straßen füllten sich allmählich wieder, die Vögel kehrten auf ihre Leitungen zurück; eure Haushaltshilfe kam nicht wieder.
Du hast Schlimmes von Selam geträumt, sogar beim Nachmittagsschlaf. In einem Traum hat sie dir den Rücken zugekehrt und auf deinen Gruß nicht reagiert. Sah sie dich an, runzelte sie die Stirn und ihre Grübchen verschwanden. Auf ihrem Balkon sagte sie mit Hadiya das Einmaleins auf, brachte ihr Schönschrift bei und teilte Smiling Cow -Toffees mit ihr. Hadiyas Englisch wurde besser als deins, ihr Gesicht schmaler und hübscher, und Selam mochte ihren Gang. Du aber wurdest immer hässlicher und so krumm und schief wie die alten Kaffeebäume in Jimma. Du hast dich schrecklich gefühlt und musstest weinen; da hat Hadiya dich in den Arm genommen. Sie sagte, es sei doch nicht Selams Schuld, dass ihre Eltern dich nicht mehr bei sich wollten, weil du keine von ihnen warst. Aber da hast du erst recht geweint, weil dich Hadiya und nicht Beste Freundin in den Arm genommen hat.
Am Nachmittag hast du getan, als würdest du auf deinem Zimmer lesen, weil du trotz deiner Träume durch die Jalousie Selams Wohnung beobachten wolltest. Du warst davon überzeugt, dass sie nicht auf den Balkon kommen würde. Trotzdem hast du Wacht gehalten, um zu sehen, ob
Weitere Kostenlose Bücher