Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
sehe sie vor mir stehen, wie sie, die Füße leicht nach innen gedreht, den Pony aus ihren Augen streicht. Der Kloß in meinem Hals ist wieder da, ich bringe kaum ein Wort heraus.
»Es ist okay, Charlie.«
»Du bist wütend.«
»Nein.«
»Bitte sei nicht wütend.«
»Wir reden später darüber.«
»Das bedeutet, du bist richtig wütend.«
»Wie viel Geld hast du noch?«
»Elf Pfund.«
»Sag mir die Adresse von dieser Party?«
»Willst du die Polizei anrufen?«
»Jemand anderen.«
Vincent Ruiz nimmt nach dem zweiten Klingeln ab. Schlaflosigkeit hat seine dritte Frau ersetzt. Oder sein Schlaf hat den Dienst quittiert, als er bei der Metropolitan Police aufgehört und seine Marke abgegeben hat.
Ruiz ist ein Freund von mir, obwohl wir uns bei unserer ersten Begegnung vor acht Jahren zunächst nicht leiden konnten. Das ist eine der Synchronizitäten des Lebens: dass wir Menschen treffen, die zu kennen uns vorherbestimmt ist. So ist es mit Ruiz. Unser anfängliches Misstrauen verwandelte sich in Respekt, dann Bewunderung und schließlich ehrliche Zuneigung. Das Opfer kommt als Letztes. Ruiz würde eine Menge für mich aufgeben, vielleicht sogar sein Leben, doch er würde ein paar Leute mit sich nehmen, weil er nie kampflos kapituliert.
»Ich hoffe, es ist wichtig«, knurrt er ins Telefon.
»Hier ist Joe. Ich brauche deine Hilfe. Charlie hat ein Problem.«
Ich höre, wie er fluchend und jetzt hellwach die Beine aus dem Bett schwingt.
»Was ist?«
»Ich hab mir den Zeh gestoßen.«
Er sucht einen Stift. Ich nenne ihm die Adresse.
»Was soll ich machen?«
»Hol sie ab. Steck sie ins Bett. Ich bin dir wirklich dankbar. Ich nehme einen frühen Zug.«
»Bin schon unterwegs.«
Das mag ich an Ruiz. Er muss in solch einer Situation nicht über das Für und Wider debattieren. Er handelt aus dem Bauch heraus, und sein Instinkt lässt ihn selten im Stich. Andere Menschen müssen sich gut fühlen, meistens auf Kosten anderer, oder führen Buch über die Gefälligkeiten, die man ihnen schuldet. Ruiz nicht. Als Julianne und ich uns getrennt haben, hat er sich nicht auf eine Seite geschlagen oder irgendjemanden verurteilt. Er ist mit uns beiden befreundet geblieben.
Bevor er auflegt, sagt er noch: »Hey, Professor, wusstest du, dass sie gerade eine neue ›Scheidungs-Barbie‹ herausgebracht haben? Sie kommt in einer Box mit allen von Kens Sachen.«
»Hol meine Tochter.«
»Schon so gut wie erledigt.«
Julianne nimmt noch beim ersten Klingeln ab.
»Charlie geht es gut. Ruiz holt sie ab.«
»Wo war sie?«
»Bei Jacob.«
»Wo?«
»Er hat sie mit auf eine Party genommen und sich dann betrunken, anstatt sie nach Hause zu bringen. Sie ist ziemlich wütend.«
»Das sollte sie auch sein.«
»Tut mir leid. Ich hätte auf sie aufpassen sollen.«
Julianne antwortet nicht. Ich weiß, dass sie sauer ist. Ich sollte auf Charlie aufpassen – und habe mich als unfähig erwiesen. Nutzlos. Hilflos. Sinnlos. Ziellos.
Ich wünschte, sie würde mich anschreien. Stattdessen wünscht sie mir eine gute Nacht.
Ich liege wach, bis Ruiz anruft und sagt, dass Charlie in seinem Gästezimmer schläft. Es ist nach drei. Jetzt schlafe ich bestimmt nicht mehr ein. Also packe ich Charlies Sachen und gucke auf den Zugfahrplan. Ich werde den ersten Zug nach London nehmen und Charlie wieder nach Hause bringen. Auf der Fahrt werden wir uns eine Geschichte ausdenken und an den Details herumfeilen, bis wir etwas haben, das Julianne akzeptiert.
Ich vermisse das. Ich weiß, es klingt absurd, nachdem was heute Nacht passiert ist, aber ich vermisse das tägliche Drama der Ehe, die Verwicklungen des häuslichen Alltags. Wir leben seit drei Jahren getrennt, doch wenn irgendwas schiefläuft, ruft Julianne immer noch mich an. In einem Notfall bin ich nach wie vor der Mann, an den sie sich wendet, der wichtigste Mensch in ihrem Leben.
Das hat natürlich auch eine Kehrseite. Sie will, dass ich mich um die schlechten Sachen kümmere, nicht die guten.
Ich höre ihn nicht kommen.
Ich höre nicht, wie er die Möbel über der Falltür verrückt. Das ist seltsam, weil ich normalerweise einen leichten Schlaf habe.
Als ich aufwache, denke ich, es muss die Polizei sein. Tash hat Hilfe geholt. Sie haben mich gefunden. Aber dann höre ich seine Stimme, mein Herz gefriert, und die Kälte schießt bis in meine Finger.
Er ist schon auf der Leiter und steht über mir. Er packt mein Haar, zerrt mich aus dem Bett und schleudert mich gegen die Wand, sodass mein
Weitere Kostenlose Bücher