Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
Namen geben soll: Lambchop und Shaun.«
Er breitet die Arme aus und drückt mich fest an sich. Es gibt nicht viele britische Männer, die einen richtig umarmen können, doch bei Ruiz erscheint es so leicht wie ein Händeschütteln. Ich folge ihm durch den Flur in die Küche.
»Möchtest du vielleicht eine Hose anziehen?«
»Nein.«
»Charlie?«
»Schläft noch.«
»Hat sie irgendwas gesagt?«
»Gegen drei Uhr früh hat sie sich ihr kleines Herz aus dem Leib gekotzt. Ich hab ihr ein Aspirin gegeben und sie wieder ins Bett gebracht.«
Ruiz füllt eine Teekanne und bedeckt sie mit einem handgestrickten Kannenwärmer. Er setzt sich mir gegenüber, schenkt Tee aus, Milch, Zucker. Auch in einem Bademantel kann er noch einschüchternd wirken, doch er hat eine sanfte Ruhe, die ich immer an ihm bewundert habe, eine stille Würde. Er gibt keinen ungefragten Rat. Seine beiden Kinder sind erwachsen. Eins ist verheiratet. Gute Ratschläge mögen beruhigend sein, hilfreich sind sie selten.
»Und wie geht es dir?«
»Gut.«
»Triffst du dich mit jemandem?«
»Nein.«
»Wie geht es Julianne?«
»Sie ist vernünftig und höflich. Ich wünschte, sie würde mal wütend werden.«
»Nicht jeder ist wie du.«
»Du glaubst, ich bin wütend?«
»Ich glaube, du kochst vor Wut. Ich glaube, wenn du morgens aufwachst und nicht griesgrämig bist, hältst du dir einen Spiegel vor den Mund, um zu sehen, ob du noch atmest.«
Ich beiße nicht auf den Köder an und versuche, das Thema zu wechseln. Ich will nicht über Julianne reden. Stattdessen fange ich an, ihm von Oxford und den Bingham Girls zu erzählen.
Er erinnert sich an den Fall. Das ist eine der bemerkenswerten Eigenschaften von Ruiz – sein Gedächtnis. Für ihn hat es so etwas wie eine vergessene Einzelheit nie gegeben. Bei ihm wird im Laufe der Zeit nichts vage und verschwommen oder franst an den Rändern aus. Manche Menschen denken fotografisch oder chronologisch, doch Ruiz verbindet Details, wie eine Spinne ihr Netz webt. Deswegen kann er sich zurücklehnen und hat spontan Details über fünf, zehn, fünfzehn Jahre alte Kriminalfälle parat.
»Natasha McBains Leiche wurde vor vier Tagen in einem zugefrorenen See gefunden.«
»Wie lange war sie schon dort?«
»Sechsunddreißig Stunden.«
Ruiz pfeift leise zwischen den Zähnen. »Sie hat also die ganze Zeit noch gelebt. Irgendeine Ahnung, wo?«
»Nein.«
»Wie bist du in die Geschichte verwickelt worden?«
»Sie wollen, dass ich die damalige Ermittlung noch mal durchsehe.«
»Und du hast Nein gesagt.«
»Richtig.«
»Aber du machst es trotzdem?«
»Ja.«
»Warum du?«
»Ich bin ein Außenstehender.«
»Was normalerweise gegen dich sprechen würde.«
»Der Chief Constable ist besorgt wegen des möglichen öffentlichen Echos. Er will Vorwürfen einer Vertuschung vorbeugen. Es ist keine Hexenjagd.«
»Noch nicht«, sagt Ruiz, leert einen halben Becher Tee und gießt sich nach. »Ich erinnere mich, dass man den Hausmeister der Schule verdächtigt und sich auch Natashas alten Herrn genau angesehen hat. Isaac McBain hat fünf Jahre wegen bewaffneten Raubüberfalls gesessen. Er hatte sich mit ein paar Möchtegerngangstern eingelassen, den Connolly-Brüdern, die ein Lohnbüro überfallen haben. Als die Sache schieflief, hat McBain einen Deal ausgehandelt und die Connolly-Brüder gegen Straferlass verpfiffen. Nach dem Verschwinden der Mädchen dachte die Polizei, die Brüder könnten als Vergeltung die Entführung organisiert haben.«
»Und?«
»Sie wurden vernommen und haben alles geleugnet. Danach ging der Entführungstheorie der Dampf aus.«
»Was ist passiert?«
»Es gab ein drittes Mädchen«, sagt er. »Emily Martinez.«
»Die beste Freundin.«
»Sie hat der Polizei erzählt, dass Natasha und Piper vorhatten abzuhauen. Ich schätze, jeder hat erwartet, die Mädchen tauchen wieder auf, sobald ihnen das Geld ausgeht oder sie sich zerstreiten, aber das ist nie geschehen.«
»Und die Ermittlung?«
»Die Hadley-Familie hielt den Druck aufrecht. Du hast die Mutter bestimmt mal im Fernsehen gesehen. Sie kann an keiner Kamera vorbeigehen, ohne eine Rede zu halten. Eine gut aussehende Frau, wenn man auf durchtrainierte Fitnessstudio-Tussis steht.«
»Nicht dein Typ?«
»Ich mag Frauen, bei denen man was zum Festhalten hat.«
»Griffe?«
»Kurven.«
Ruiz packt die Tischkante und stößt sich ab. Er schiebt zwei Scheiben Brot in den Toaster.
»Der Chief Constable sagt, er kennt dich«, erzähle ich
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