Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
Abbildung der Jünger beim Letzten Abendmahl.
»An ihr wurde eine Genitalverstümmelung vorgenommen«, flüstert er.
»Ich weiß.«
»Die Prozedur wurde mangelhaft durchgeführt, erforderte jedoch zumindest medizinische Grundkenntnisse. Sie hätte an einer Infektion sterben können.« Der Pathologe stockt und senkt den Kopf. »Warum wurde es überhaupt gemacht?«
Ich antworte nicht.
»Wie weit kann sie in der Kleidung und den Schuhen durch einen Schneesturm gelaufen sein?«
»Nicht mehr als ein oder zwei Stunden.«
Je nach Gelände irgendwas zwischen sechs und elf Kilometern, schätze ich.
»Natasha trug ein Fußkettchen«, sagt Leece. »Eine silberne Kette, nicht teuer. Ich habe mir noch einmal die alten Akten angesehen – darunter auch eine Liste der Kleidung, die sie mitgenommen haben könnten. Dort wurde auch Schmuck erwähnt.«
»Hatte Natasha ein Fußkettchen?«
»Nein … aber Piper Hadley.«
In der Kirche wird es noch stiller, als hätte jemand die Lautstärke heruntergedreht und unsere Stimmen gedämpft. Piper Hadley wurde in der Ermittlung bisher kaum erwähnt, trotzdem ist sie wie ein zerklüftetes Loch in der Mitte jedes Szenarios. Ein stummes Opfer.
Draußen atme ich die kalte Luft ein und rieche Kastanien, die auf Holzkohle rösten. Ich kaufe dem Mann an der Ecke eine Tüte ab, löse die verkohlte Schale und schmecke Weihnachten. Leute hasten mit gesenkten Köpfen und Tüten voller Weihnachtsgeschenke und Lebensmittel auf dem matschigen Bürgersteig an mir vorbei. Sie haben keine Ahnung, wie sich die Welt seit gestern verändert hat.
Hinten am Horizont leuchtet eine Kette bleifarbener Wolken wie Magnesium, das in eine Bunsenbrennerflamme gehalten wird. Sie lässt die Umrisse der Dächer hervortreten und die Dunkelheit noch dunkler erscheinen. Die Stille wird immer dichter.
Früher habe ich mal daran gedacht, Meteorologie zu studieren, um zu lernen, wie das funktioniert, das Fließen der Dinge, Luftströme, Wind und Wolken, die um die Erde kreisen. Ich dachte, der Planet wäre vielleicht leichter zu verstehen als die Psyche.
Ich trete von einem Fuß auf den anderen und warte, dass Mr Parkinson sich im Gleichschritt anschließt. Gemeinsam laufen wir zurück zum Hotel, während wir im Kopf noch einmal die Details durchgehen. Ein Mädchen ist entkommen. Eins bleibt verschwunden.
Die Zeit drängt, und ich bin ein erschöpfter Mann.
16
Charlie hat mir eine Nachricht auf dem Hotelbriefpapier hinterlassen.
Bin auf einer Party. Komme nicht zu spät zurück. XXX C
Eine Party? Kein Wort darüber, wo, wann und mit wem. Was heißt »spät«? Es ist erst sechs Uhr. Sie darf ein Privatleben haben. Sie ist vernünftig und reif für ihr Alter, aber dass man aussieht wie siebzehn, ändert nichts daran, dass man erst fünfzehn ist. In dem Alter machen zwei Jahre einen großen Unterschied. Fünfzehn ist eher Britney als Barbie. Fünfzehn macht mir eine Höllenangst.
Ich rufe ihr Handy an. Sie nimmt nicht ab. Vielleicht ignoriert sie mich absichtlich, weil ich sie nicht allein nach London fahren lassen wollte.
In meiner Abwesenheit sind vier versiegelte Kartons angeliefert worden – Zeugenaussagen der ersten Ermittlung, eine Chronologie der Ereignisse und Mitschnitte von Telefongesprächen. Drury hat eine Notiz dazugelegt: »Hauen Sie rein.«
Ich nehme mir das erste Protokoll vor.
Es trägt das Datum von Montag, dem 1. September 2008. Sarah Hadley, Pipers Mutter, erklärte der Polizei, dass sie am Sonntag um kurz nach sieben aufgewacht sei und angenommen habe, Piper sei beim Reiten, weil sie nicht in ihrem Zimmer war.
Um neun Uhr rief sie die Reitschule an, und Mrs Clayton, eine der Lehrerinnen, erklärte ihr, dass Piper nicht gekommen sei. Pipers Handy war einkassiert worden, als sie wegen einer anderen Verfehlung Hausarrest bekommen hatte, sodass Mrs Hadley ihre Tochter auch nicht anrufen konnte.
»Anfangs war ich wütend«, erzählte sie der Polizei. »Piper hat sich offensichtlich aus ihrem Zimmer geschlichen und war die ganze Nacht mit diesem McBain-Mädchen unterwegs, das sowieso ständig nur Ärger macht. Wir haben Piper verboten, auf die Kirmes zu gehen, aber sie hat sich darüber hinweggesetzt und ist trotzdem gegangen.
Bei Natasha McBain ist Piper mehr als empfindlich, wissen Sie. Ich zeig ja nicht gern mit dem Finger auf gewisse Leute, doch dieses Mädchen bringt nichts als Ärger. Das haben wir Piper auch versucht zu erklären, aber was kann man einem Teenager schon sagen? Sie hören
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