Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
aber kein Teil von ihr‹, wie sie sich ausdrückte.«
»Erzählen Sie mir nicht, dass Sie an diese Wahrsagerscheiße glauben. Wissen Sie, wie viele Medien und Geisterseher sich bei uns gemeldet haben? Dutzende.«
»Aber in diesem Fall könnte es anders sein. Dieses Medium hat einen Schornstein oder eine Windmühle gesehen. Der Pathologe hat Spuren von Schwermetallen an Natashas Kleidung gefunden. Was, wenn Vic McBain ihr einige der Details geflüstert hat?«
»Warum sollte er das tun?«
»Ich weiß nicht, aber da ist noch etwas, was mich beschäftigt. Als die Mädchen planten wegzulaufen, hat Natasha Emily erzählt, ihr Onkel würde ihr Geld schulden. Als ich Emily gefragt habe, wofür, war sie sichtlich erregt und hat sofort dichtgemacht.«
»Sie glauben, Natasha hätte ihren Onkel erpresst?«
»Es wäre möglich.«
»Okay, okay, wir schauen uns die Sache noch mal an.« Drury hält sich die Nase zu und bläst seine Wangen auf, als wollte er den Innendruck seines Schädels korrigieren. »Ich kriege eine Grippe. Meine Tochter hat mich angesteckt. Wenn Sie mich fragen, hat man den Ratten die Schuld für die Pest fälschlicherweise angehängt. Ich glaube, es waren Kinder.«
Phillip Martinez veranstaltet im Erdgeschoss des Reviers einen Aufstand und diskutiert mit dem Sergeant am Empfang, dessen Wangen wegen des erhöhten Blutdrucks glühen. Ein Dutzend Personen wartet darauf, vorgelassen zu werden. Emily steht ein Stück dahinter, die Hände in den Taschen einer dicken Donkeyjacke vergraben.
Martinez wirkt erleichtert, mich zu sehen. »Professor O’Loughlin, Sie verstehen es bestimmt.«
»Was verstehe ich?«
»Wir haben wichtige Informationen. Emily, genauer gesagt. Es gibt etwas, was sie der Polizei verschwiegen hat. Sie hat einen Brief bekommen.«
»Einen Brief?«
»Von Piper.«
Drury schüttelt seinen Mantel aus und fährt wie vom Donner gerührt herum. Er brüllt den Sergeant am Empfang an, Mr Martinez und Emily durchzulassen. Ein Knopf wird gedrückt. Eine Zwischentür öffnet sich. Vater und Tochter werden eilig nach oben in das Büro des DCI geführt.
Bisher hat Emily den Blick nicht gehoben. Sie kleidet sich nicht wie die meisten Mädchen in ihrem Alter. Keine klobigen Schuhe, schrillen Röcke oder grellen Lippenstift. Stattdessen trägt sie einen langen Rock und einen weiten Pullover.
Mir fallen Noten in ihrer Tasche auf.
»Welches Instrument spielst du?«, frage ich.
»Klavier.«
»Wie lange schon?«
»Seit sechs Jahren.«
»Sie nimmt in den Ferien zusätzlichen Unterricht«, sagt Mr Martinez. »Ihre Lehrerin sagt, sie hat das absolute Gehör.«
Emily wirkt verlegen und will, dass er still ist.
Drury kommt herein und entschuldigt sich für die Verzögerung.
Ich beobachte Emily von der Seite, suche nach Zeichen inneren Aufruhrs.
Mr Martinez übernimmt das Reden. »Sie hat mir erst heute Morgen von dem Brief erzählt. Ich habe versucht, ihn nicht zu berühren. Ich dachte, vielleicht befinden sich darauf Fingerabdrücke, wissen Sie, oder DNA -Spuren.«
Drury nimmt den Brief und legt ihn auf seinen Schreibtisch. Es ist billiges Papier, an den Falten fast völlig durch, doch die mit Bleistift geschriebenen, verblassenden Sätze sind noch lesbar.
Liebe Em,
bitte, erzähl niemandem von diesem Brief – weder meinen Eltern noch der Polizei. Das musst du versprechen. Das muss unser Geheimnis bleiben.
Alle wissen mittlerweile, dass wir abgehauen sind, und hören hoffentlich bald auf zu suchen. Wir wohnen übrigens in London, wie wir geplant hatten. Es ist ein großes Haus, doch ich soll dir die Adresse nicht sagen.
Tash geht es gut. Wir vermissen dich beide. Tut uns leid, dass wir dich am Bahnhof haben warten lassen, aber wahrscheinlich ist es das Beste, dass du zu Hause geblieben bist. Wenn wir achtzehn sind, können wir irgendwann zusammen eine Wohnung haben.
Ich schätze, meine Mum ist jetzt glücklicher. Sie kann sich auf Phoebe und Ben konzentrieren, ohne dass ich im Weg bin. Sie haben etwas Besseres verdient als mich. Ich wünschte, ich wäre netter zu ihnen gewesen.
Bis wir uns wiedersehen
Alles Liebe
Piper xxxoooo
Ich erkenne Pipers Handschrift. Die geschwungenen Bogen und eckigen Großbuchstaben sind in das billige Papier gedrückt und haben Graphitsplitter in den Furchen hinterlassen.
»Wann hast du den bekommen?«, frage ich.
Emily streicht sich den Pony aus den Augen. Ihr Vater antwortet für sie. »Ich hab ihr gesagt, dass es falsch war. Sie bereut es sehr. Es wird
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