Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
nicht wieder vorkommen.«
»Wann genau ist er angekommen?«
Wieder antwortet Mr Martinez. »Auf dem Umschlag ist ein Londoner Poststempel. Das Datum ist verwischt, aber es könnte Oktober 2008 sein.«
Ich sehe Emily fragend an. Sie nickt.
»Warum hast du ihn niemandem gezeigt?«
»Piper hat gesagt, ich dürfe es nicht. Sie hat mir das Versprechen abgenommen.«
»Das ist keine Entschuldigung, Emily«, sagt ihr Vater. »Du hättest es mir erzählen müssen.«
Drury hat den Hörer abgenommen und bittet einen Kriminaltechniker, Brief und Umschlag abzuholen. Papier und Briefmarken sollen untersucht werden.
»Kommt dir irgendwas an dem Brief seltsam vor?«, frage ich Emily. Sie sieht mich mit leerem Blick an.
»Woher wusste Piper, dass du am Bahnhof gewartet hast? Du hast sie dort nicht gesehen, und die Information, dass du dort warst, wurde nie rausgegeben.«
Verwirrung trübt ihren Blick.
»Wer wusste sonst noch, dass du am Bahnhof Radley gewartet hast?«
»Niemand.«
Ich sehe Phillip Martinez an. »Wussten Sie es?«
Er schüttelt den Kopf.
»Hast du es jemandem erzählt, Emily?«
»Ich glaube nicht.«
»Hast du jemanden gesehen?«
»Nein.«
»Wohin bist du danach gegangen?«
»Ich habe versucht, Tash anzurufen, aber sie ist nicht an ihr Handy gegangen. Ich habe ihr eine SMS geschickt und bin in das Café gegangen, wo sie sonntags gearbeitet hat. Ich dachte, vielleicht taucht sie da auf.«
»Wer hat dich gesehen?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
»Denk genau nach. Es ist wichtig.«
»Ich habe mit dem Manager und der anderen Kellnerin geredet.«
»Noch mit sonst jemandem?«
»Natashas Onkel hat an einem der Tische gefrühstückt. Er hat meine Tasche gesehen und gemeint, die würde aber schwer aussehen. Er hat im Scherz gesagt, ich wollte wohl ausziehen.«
»Glaubst du, er wusste es?«
Emily zuckt die Achseln. Ich sehe Drury an und versuche, seine Reaktion abzuschätzen. Irgendwas stört mich. Mädchen im Teenageralter schicken normalerweise keine Briefe. Sie schicken E-Mails, SMS oder rufen an.
Drury fragt Emily, ob Natasha je über ihren Onkel gesprochen hat. Sie schüttelt den Kopf heftiger als nötig.
»Wie hat sie sich mit ihm verstanden?«
»Okay, glaub ich.« Emily sieht ihren Vater an. »Können wir gehen? Den Brief haben sie doch jetzt.«
Aber der DCI ist noch nicht fertig. »Als ihr geplant habt wegzulaufen, wovon wolltet ihr das bezahlen?«
»Tash hatte Geld.«
»Woher hatte sie es?«
»Sie hatte einen Job.«
»Hat sie für ihren Bruder Drogen verkauft?«
Emily hält den Atem an, als könne sie die Antwort vermeiden, solange sie nicht ausatmet. Sie nickt, atmet. »Nur ein paar Pillen und so.«
»Wo?«
»Auf Partys. Es ist nicht so, als hätte sie das Zeug an Vorschulkinder verkauft.«
Phillip Martinez macht aus seiner Abscheu keinen Hehl. »Versuch nicht noch, sie zu verteidigen. Es ist verkehrt!«
Emily wendet den Blick ab.
Ihr Vater steht auf. »Ich glaube, sie hat jetzt genug gesagt.«
Drury drückt ihn zurück auf den Stuhl. »Sie hat wichtige Beweismittel in einer polizeilichen Ermittlung zurückgehalten.«
»Sie hat einen Fehler gemacht.«
»Sie war es den Familien der Mädchen schuldig.«
Emily blinzelt gegen ihre Tränen an und sieht absolut elend aus. »Es tut mir leid. Es tut mir leid. Ich dachte, sie wären in London.«
Mr Martinez steht auf. »Wir gehen. Komm.« Er legt einen Arm um Emilys Schultern. Sie schrumpft unter seiner Berührung. Drury versucht nicht, die beiden aufzuhalten.
An der Tür bleibt Martinez stehen und dreht sich noch einmal zu mir um. »Diese Forschungsstudie, die ich erwähnt habe. Ich habe meinen Kollegen gefragt. Es sind noch Plätze frei. Ich könnte Sie empfehlen.«
»Danke«, sage ich, verlegen, dass jetzt jeder davon weiß. »Ich gucke es mir mal an.«
Drury beugt sich auf seinem Stuhl vor und massiert seine Schläfen, ein Schwarm neuer Gedanken sammelt sich hinter seiner Stirn.
»Ist der echt?«
»Ja.«
»Das heißt, sie waren in London.«
»Nicht unbedingt.«
Ich studiere den Brief ein weiteres Mal und achte auf Wortwahl und Satzstruktur. Was die Handschrift betrifft, habe ich keine Zweifel, doch in der Sprache fehlen Pipers übliche Ausschmückungen, ihr selbstironischer Humor, ihr Fatalismus und ihr Fluchen.
»Ich glaube, der Brief wurde diktiert. Piper wurde genau gesagt, was sie schreiben sollte, um möglichst wenig zu verraten.«
»Warum wurde der Brief überhaupt versandt?«
»Angenommen, er wurde
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