Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
bin mir sicher, das stimmt nicht. Eure Mutter liebt euch.«
Phoebe wippt nach vorn und stellt die Füße auf den Boden. Ich höre, wie ihr Bruder Ben sie von unten ruft.
»Auf Wiedersehen«, sagt sie. »Ich bin froh, dass Sie mich sehen können.«
Sarah Hadley ist nicht im Haus. Ich finde sie im Garten, wo sie Golfbälle in ein Netz schlägt. Jedes Mal, wenn ein Ball in den hängenden Vorhang kracht, fallen Eisstückchen herunter. Ich kann sie mir im Sommer in ihrem Country-Club vorstellen, die langen gebräunten Beine in engen Shorts.
Sie schlägt einen Ball, zieht den Schläger bis über die Schulter durch und verharrt in der Pose. Ihre Bluse rutscht hoch und entblößt einen flachen Bauch.
»Schöner Schwung.«
»Ich habe früher in der Grafschaftsauswahl gespielt.«
Auf den ersten Blick hatte ihr Teint golden und beinahe makellos gewirkt, doch jetzt fällt mir auf, dass die Haut um ihre Augen gestrafft ist. Schönheitsreparaturen sind vorgenommen worden. Sie trinkt einen Schluck aus einem Glas. Ihre Augen sind glasig, doch sonst hat der Alkohol nichts betäubt.
»Vielleicht sollten Sie damit lieber langsam machen«, erkläre ich ihr.
»Ein bisschen spät jetzt. Bis heute Morgen war ich zwei Jahre lang trocken.«
»Ich könnte Ihnen die Telefonnummer eines Kollegen geben.«
»Therapie? Habe ich schon versucht. Nichts ist von Dauer.«
»Und wie steht Ihr Mann zu alldem?«
»Er sucht Entschuldigungen für mich. Er ist nicht der Typ, der sich beschwert.«
Sie schlägt einen weiteren Ball, der nach rechts wegdreht. »Und wissen Sie, was das Traurigste an alldem ist?«
»Was?«
»Phoebe kann nicht Fahrrad fahren, weil wir es ihr nicht beigebracht haben. Sie ist noch nie mit dem Schulbus gefahren oder allein einkaufen gegangen. Ich habe Angst, dass sie vielleicht nicht zurückkommt, wenn ich sie aus den Augen lasse.«
»Das ist verständlich«, sage ich und erinnere mich an mein Gespräch mit Phoebe.
»Das geht alles nicht spurlos an ihr vorüber. Ich sehe, wie sie sich Stück für Stück zurückentwickelt. Sie war immer eine willensstarke kleine junge Dame, doch jetzt habe ich sie hilflos gemacht. Sie hat Albträume, wacht weinend und schreiend auf. Dale muss sie beruhigen.«
»Nicht Sie?«
»Mit mir nimmt sie nicht so ohne Weiteres Vorlieb. Sie sollten mal ihr Zimmer sehen. Sie hat jedes einzelne Stofftier behalten, das die Leute geschickt haben. Der Speicher quillt über davon. Dale wollte sie einer wohltätigen Organisation spenden, doch Phoebe hat es nicht zugelassen.«
Sarah dreht sich zum Haus um, stolz auf ihre Familie, ohne sich die gemischten Gefühle erklären zu können, die die Ehe ihr eingebracht hat. Durch das Fenster des Salons kann man den Weihnachtsbaum sehen.
»Wir hängen immer noch jedes Jahr Pipers Socke auf. Und an ihrem Geburtstag haben wir einen Kuchen mit der richtigen Zahl von Kerzen. Wir haben ein Ritual befolgt, doch jetzt wirkt es realer … realer als gestern.«
Sie legt einen weiteren Ball auf das Tee, überprüft ihren Griff macht einen Probeschwung.
»Ich habe mich daran gewöhnt, angestarrt zu werden. Die Leute flüstern hinter meinem Rücken – sie denken, ich will bloß dauernd im Rampenlicht stehen. Einmal ist Phoebe von der Schule nach Hause gekommen und hat erzählt, ein Junge hätte zu ihr gesagt, Piper wäre tot, und ich sollte die Klappe halten und aufhören, über sie zu reden.
Das denken die Leute. Sie denken, unsere Kleine wurde ermordet oder ist weggelaufen, weil wir furchtbare Eltern waren. Sie denken, ich verschwende meine Zeit, indem ich sinnlos weitermache … Plakate aufhänge und sie daran hindere zu vergessen. Wissen Sie, warum ich nie aufgegeben habe?«
»Nein.«
»Ich habe mit einem Medium gesprochen … einer Wahrsagerin. Sie hat mir gesagt, dass Piper und Natasha noch leben. Sie hat gesagt, sie wären zusammen und würden versuchen, nach Hause zu kommen. Sie hat gesagt: ›Sie sind unter der Erde, aber kein Teil von ihr. Sie atmen in der Dunkelheit.‹«
»Wie sind Sie auf diese Wahrsagerin gekommen?«
»Vic McBain war mit ihr zusammen.«
»Natashas Onkel?«
Sarah nickt, und ein fiebriger Ausdruck huscht über ihr Gesicht. Sie scheint mir nicht der Typ zu sein, der seine Hoffnungen an die wahrsagerischen Fähigkeiten eines Mediums hängt, doch drei Jahre ohne ein Lebenszeichen von Piper sind eine lange Zeit, und wer wäre da nicht verzweifelt?
»Was hat die Wahrsagerin noch gesagt?«
»Sie hat gesagt, sie könne blinkende Lichter
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