Sag Mami Good bye - Fielding, J: Sag Mami Good bye - Kiss Mommy Good Bye
den Spielplatz, näherte sich mit zornigen Blicken dem kleinen Jungen. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß du auf mich warten und nicht so weit vorauslaufen sollst? Du weißt doch, daß ich mich jetzt nicht so schnell bewegen kann.«
Die Frau, rund ein Halbdutzend Jahre jünger als Donna, mußte im sechsten oder siebten Monat sein. Unwillkürlich blickte Donna an sich hinab. Sie war so dünn wie nie zuvor, und ihre Magerkeit wurde noch betont durch das Haar, das sie eine Idee zu lang trug, als daß es attraktiv wirken konnte.
»Allmächtiger, wie ich mit zweien fertig werden soll, weiß ich beim besten Willen nicht«, sagte die Frau, während sie schwerfällig auf die Bank zuschritt, auf der Donna saß, und neben ihr Platz nahm. Zu ihrer eigenen Verwunderung freute Donna sich darüber: über die Gelegenheit, mit einem anderen Menschen zu sprechen. Es war schon ziemlich lange her, daß sie mehr Worte gewechselt hatte als die unerläßlichen Floskeln wie »Guten Tag« und »Auf Wiedersehen«.
»Sie werden schon zurechtkommen«, erwiderte sie lächelnd. »Zuerst ist es schwer, und man glaubt, man schafft es nie. Aber man schafft es doch, und dann ist es wunderschön.«
»Wirklich?« fragte die Frau und strich sich das von einem Stirnband gehaltene Haar glatt. Es war blond, doch im Sonnenlicht sah man deutlich den schwarzen Haaransatz, etwa einen Zentimeter lang. »Na, hoffentlich. Wir können uns nämlich keine Hilfe leisten. Und Todd – also als Baby war’s mit ihm nicht zum Aushalten. Schrie unentwegt. Noch mal könnte ich das wohl kaum durchmachen.«
»Mit meinem ersten war es das gleiche«, sagte Donna. »Ein ganzes Vierteljahr lang schrie er, mein kleiner Adam. Aber dann
hörte er damit auf, und er war sehr lieb. Sharon hat überhaupt nie geschrien. Vielleicht haben Sie mit Ihrem zweiten ebensoviel Glück.«
»Na, hoffentlich.« Die Frau blickte zu den spielenden Kindern, ein knappes Dutzend insgesamt. »Welche sind Ihre?«
Die Frage traf Donna völlig unvorbereitet. Unwillkürlich geriet sie in ein Stammeln. »Sie – sie sind nicht hier.« Die Frau musterte sie überrascht. Am liebsten hätte Donna gefragt: Muß man denn Kinder haben, wenn man bei einem Spielplatz auf einer Bank sitzt? Statt dessen sagte sie: »Sie sind mit ihrem Vater unterwegs. Er macht mit ihnen einen Abstecher nach Disneyland.«
»Oh, wie schön. Wir waren voriges Jahr dort. Mir hat’s besser gefallen als Todd.« Donna lächelte. Die Frau sah sie fragend an. »Sie verbringen Weihnachten nicht zusammen?«
Donna starrte verblüfft. Wie hatte sie nur vergessen können, daß es nur noch wenige Tage bis Weihnachten war? Unwillkürlich drehte sie den Kopf. Sah die Palmen, das grüne Gras, spürte die warme Dezemberluft. In einer solchen Umgebung war es wahrhaftig keine Kunst, Weihnachten zu vergessen, ging es ihr durch den Kopf. Das Wetter blieb mehr oder minder stets gleich, mal ein bißchen heißer, mal ein bißchen weniger heiß. Geschenke brauchte sie für niemanden zu kaufen. Auch war keiner da, der Tag für Tag fragte: Ist denn immer noch nicht Weihnachten? Niemand hatte ihr eine Weihnachtskarte geschickt – wie denn auch, da keiner wußte, wo sie sich befand? Im Mt. Vernon Motel hatte sie eine Art Dauerquartier bezogen. Ursprünglich was das als Übergangslösung gedacht gewesen, bis sie irgendwo ein geeignetes Appartement fand. Der Mietvertrag für das Haus, in dem sie seinerzeit mit den Kindern gewohnt hatte, war inzwischen abgelaufen, die Eigentümer zurückgekehrt. So hatte sie einen Teil ihrer beweglichen Habe ins Mt. Vernon Motel geschafft und den Rest eingelagert. Sobald
die Touristen-Saison vorüber war, würde sie sich auf die Suche nach einem Appartement machen. Wahrscheinlich.
»Ich hatte ganz vergessen, daß Weihnachten vor der Tür steht«, sagte Donna – und bedauerte den Satz, kaum daß er ihr rausgerutscht war.
Die jüngere Frau schien sich buchstäblich zurückzuziehen. In ihren Augen zeigte sich ein eigentümlicher, fast furchtsamer Ausdruck. Und plötzlich erinnerte Donna sich an den riesigen Weihnachtsbaum am Ende der Worth Avenue. Sie sah ihn im Lichterglanz, vor dem Hintergrund des dunklen Abendhimmels; sie sah die erleuchteten Schaufenster, weihnachtlich geschmückt. Es war schon erstaunlich, wie das funktionierte mit dem Verdrängungsmechanismus (so nannte man das ja wohl). Sie hatte es tatsächlich fertiggebracht, Weihnachten für sich nichtexistent zu machen. Eine beachtliche Leistung, wenn man
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