Sag Mami Good bye - Fielding, J: Sag Mami Good bye - Kiss Mommy Good Bye
inzwischen vergangen war, hatte das Mädchen noch mehr Ähnlichkeit bekommen mit der Frau, nach der es benannt worden war. Meine Mutter, dachte Donna. Meine Mutter – meine Tochter.
»Ach, verflixt«, sagte die Frau zu dem Kind. »Ich habe ja die Kartoffeln vergessen.«
»Kartoffeln?« fragte das Kind.
»Dauert nur einen Augenblick«, sagte die Frau. »Keine Angst. Bin gleich wieder da.«
Donna hielt den Kopf gesenkt. Während die Frau an ihr vorüberging, schien sie eingehend sämtliche Schildchen auf sämtlichen Konservendosen zu studieren. Doch kaum war die Frau verschwunden, stürzte Donna auf das Kind zu. Was soll ich tun? fragte sie sich verwirrt. Was soll ich tun? Nehme ich Sharon und laufe einfach mit ihr fort? Was ist, wenn sie sich wehrt? Was soll ich tun? Und mein Sohn? Wo ist er, wo ist Adam?
»Hallo«, sagte sie mit ruhiger Stimme.
Das Kind warf ihr einen prüfenden Blick zu – einen Blick, der direkt in Donnas Hirn zu dringen schien. Kannst du mich sehen? fragte Donna stumm. Kannst du sehen, wer ich bin? Erinnerst du dich an mich?
Das kleine Mädchen lächelte. »Hallo.«
Ich habe dich gefunden, dachte Donna fassungslos. Ich habe mein Töchterchen gefunden!
»Sharon?« fragte sie, gleichsam vortastend.
Das Gesicht des Kindes schien sich zu verdüstern. Die kleine Stirn war tief gekraust. Und aus dem Schmollmündchen klang es: »Ich bin nicht Sharon.« Donna spürte, wie ihr das Herz sank. »Ich bin Big Bird.«
»Was?«
»Ich bin Big Bird.«
Donna fühlte, daß sie unwillkürlich am ganzen Körper zu zittern begann.
»Oh, ich verstehe. Big Bird – Großer Vogel.«
»Bitte, darf ich Big Bird sein?« bat das kleine Mädchen, und ihre Stimme klang plötzlich weich.
»Natürlich darfst du das. Big Bird ist ein wunderhübscher Name.« Sacht strich sie über das Haar des Kindes. »Du hast schönes lockiges Haar, Big Bird.«
»Nein«, protestierte das Kind mit weinerlicher Stimme und schien den Tränen nah. »Nicht Haare. Federn!«
»Äh, Federn, natürlich. Es sind Federn.« In Donnas Schädel drehte es sich wie ein Kreisel. Sie wollte das Kind nicht in Angst versetzen; sie wollte keine Szene verursachen; die Leute hier, die Kassiererinnen und so weiter, vielleicht kannten sie diese Frau, die sich um das Kind kümmerte; womöglich kam sie oft mit Sharon hierher. Und wenn Donna jetzt nach ihrer Tochter griff und Sharon sich wehrte, so würden die anderen Donna vielleicht zurückhalten: diese Wahnsinnige zu bändigen versuchen, während die andere Frau mit dem Kind davonflüchtete. Nein, dazu durfte es auf gar keinen Fall kommen. Viel besser war es, die Frau außerhalb des Geschäfts zu stellen (inzwischen würde hoffentlich auch Mel zur Stelle sein), um von ihr eine Antwort zu fordern auf die Frage: Wo befand sich Adam? Dann würde sie beide Kinder wiederhaben.
Donna hörte die sich nähernden Schritte. Sofort zog sie sich zurück, widmete ihre ganze Aufmerksamkeit scheinbar wieder irgendwelchen Ananaskonserven. Doch aus dem Augenwinkel beobachtete sie die Frau, die zum übrigen Eingekauften einen Fünfpfundbeutel Kartoffeln tat.
»Da wäre dein Vater wohl ganz schön böse, wenn wir wieder die Kartoffeln vergessen hätten«, sagte die Frau und prüfte nach, was sich im Einkaufswagen befand. »Ich glaube, das ist alles.« Sie zog einen Zettel hervor und überflog, was dort notiert war. Eine
Liste, dachte Donna fast ungläubig, eine Liste. »Okay, das ist’s. Jetzt werden wir deinen Bruder abholen, und dann geht’s nach Hause.
»Ich will Eiscreme.«
»Nach dem Essen.«
»Rosa Eiscreme.«
»Nach dem Essen.«
Donna folgte der Frau im Abstand von wenigen Metern. Die Frau mußte sich an der Kasse anstellen. Da Donna nichts gekauft hatte, ging sie sogleich zum Ausgang und wartete draußen. Von dort, wo sie stand, konnte sie zum Weingeschäft blikken. War Mel noch in dem Laden? War er inzwischen zum Auto zurückgekehrt? Oh, bitte, Mel, sei dort. Sie schaute wieder zu der Frau. Sie war die dritte in der Schlange, doch schien eine weitere Kasse besetzt zu werden; und so wagte Donna nicht, sich zu entfernen, um nach Mel zu suchen. Auf gar keinen Fall durfte sie ihr Kind wieder aus den Augen verlieren. Lieber Gott, dachte sie, ich habe sie gefunden. Ich habe mein kleines Mädchen tatsächlich wiedergefunden! Es ist vorbei. Der Alptraum ist vorbei.
Noch nicht ganz, dachte sie dann. Alpträume sind erst vorüber, wenn man aufgewacht ist. Und wach – voll wach – würde sie erst sein, wenn
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