Sag Mami Good bye - Fielding, J: Sag Mami Good bye - Kiss Mommy Good Bye
»Wo ist Victor hin?« fragte Mel, während Donna hastig die wenigen kurzen Worte überflog, die Victor geschrieben hatte.
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Mrs. Adilman. »Wissen Sie denn das nicht?«
Es begann wie ein leiser Klagelaut, der immer mehr die Luft füllte. Zunächst schien es fast eine Art Summen zu sein, doch wurde es lauter und immer lauter, schriller und immer schriller, bis es geradezu in einem Gellen explodierte.
Sofort schlang Mel seine Arme um Donna und hielt ihren Kopf und preßte ihn an sich. Doch nichts half. Nichts konnte das schrille, durchdringende Gellen zum Verstummen bringen oder auch nur dämpfen. Es war wie der letzte, der allerletzte Todesschrei eines Tieres, gefangen in der Falle eines Jägers. Es schien ohne Ursprung und ohne Ende. Wie aus dem Bauch eines Neugeborenen stieg es auf und entlud sich in die Luft – schien sich in ein eigenständiges Wesen zu verwandeln, in eine Art Dämon.
Mel tastete mit einer Hand nach unten. Mit viel Geduld gelang es ihm, das Stück Papier aus Donnas verkrampfter Faust zu lösen. Hinter ihrem Rücken hielt er den Zettel in die Höhe, so daß er Victors Worte lesen konnte.
Man muß lernen, damit zu leben.
Mel zerknüllte den Zettel und schleuderte ihn voll Zorn auf den Boden.
16
»Wie waren sie gekleidet, als Sie sie zum letzten Mal sahen?«
Donna blickte in die goldgesprenkelten Augen des Polizeibeamten. Er war ein kurzwüchsiger, kraftvoll gebauter Mann mit einem fast kreisrunden Gesicht, und die vollen Wangen und das breite Kinn trugen noch dazu bei, daß man sich kein wirklich individuelles Merkmal einprägen konnte. Es war ein irgendwie undurchdringliches
Gesicht. Ein Gesicht, das nichts verriet. Vermutlich (so ging es Donna flüchtig durch den Kopf) das ideale Gesicht für einen Polizei-Lieutenant.
Sie fühlte sich völlig zerschlagen. Die ganze Nacht hatten beide kein Auge zubekommen. Natürlich war die Polizei von ihnen sofort verständigt worden, doch die Beamten hatten sie gebeten, am Morgen wiederzukommen: In der Nacht vom Sonntag auf den Montag sei für solche Dinge einfach keine Zeit, da habe man alle Hände voll zu tun, um mit den »üblichen« Notfällen fertig zu werden.
Auch die Anrufe – bei Danny Vogel und weiteren Freunden oder Bekannten von Victor – hatten nichts eingebracht. Keiner wußte etwas, und Donna nahm an, daß dies den Tatsachen entsprach. Victor hatte nie dazu geneigt, sich seinen Freunden anzuvertrauen. In diesem Fall würde er es um so weniger getan haben, als das Risiko recht groß war. Oh, nein, er hatte die Sache in aller Heimlichkeit geplant und durchgeführt. Sehr sorgfältig geplant, bis ins letzte Detail.
Im übrigen hatten sie auch Mr. Gerber und Mr. Stamler angerufen. Von irgendwelchem Nutzen konnten die beiden Anwälte kaum sein. Dennoch hatten sie mit dem einen wie mit dem anderen für heute Termine ausgemacht.
»Adam trug ein weiß-blau gestreiftes T-Shirt«, sagte Donna leise – und sah wieder ihren kleinen Sohn vor sich, wie er stolz auf der Toilette thronte und sie anstrahlte. »Außerdem weiße Shorts. Keine Söckchen. Blaue Sandalen.«
»Und das kleine Mädchen?«
Sofort begannen die Tränen zu fließen. Aus Augen, die fast zugeschwollen waren vom vielen Weinen. »Sie trug ein rot und weiß kariertes Kleidchen«, sagte sie langsam, um nicht die Kontrolle über ihre Stimme zu verlieren. »Dazu ein passendes Höschen mit so Rüschen. Und weiße Sandalen.« Unwillkürlich brach sie ab. Sie hatte das Gefühl, Sharons Ärmchen um ihren
Hals zu spüren. Mmm, du bist eine Süße, hatte sie zu dem Kind gesagt. »Und eine weiße Schleife im Haar«, fügte sie hinzu. »Sie hat einen richtigen Lockenkopf.«
»Ja, wir haben ja von beiden Fotografien«, erklärte der Beamte, indem er die Bilder hochhob, die Donna mitgebracht hatte. »Bildhübsche Kinder.«
»Ja, das sind sie.« Donna griff nach Mels Hand. Seite an Seite saßen sie dem Mann gegenüber. Auf einem kleinen Schild auf seinem Schreibtisch stand sein Name: Stan Robinson. Sein Alter schätzte Donna auf etwa fünfzig. Er musterte sie eingehend. Augenscheinlich überlegte er sich, was er als nächstes sagen wollte. Aber welcher Art seine Gedanken waren, verriet sein Gesicht nicht. Dennoch war in ihr eine Art Witterung: Er stand im Begriff, irgend etwas zu sagen, das ihr wenig gefallen würde.
»Ich hasse Fälle wie diesen«, begann er. Donna hielt unwillkürlich den Atem an. »In letzter Zeit gibt’s davon immer mehr. Ist wie
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