Sag mir, wo die Mädchen sind
Möbel umzustoßen, sofern sie sich nicht allzu heftig gewehrt hatte. Heinis Jeans lag zerknautscht neben dem Sofa, das hellviolett-rosa gemusterte Stück Stoff war wohl einmal ein Slip gewesen.
Ich spürte Übelkeit aufsteigen und kämpfte dagegen an. Zu gern hätte ich Heini den Albtraum erspart, den ich selbst vor fünf Jahren erlebt hatte: die Gewalttat immer wieder rekapitulieren zu müssen, beim Arzt, bei der polizeilichen Vernehmung, vor Gericht. Dieselben Fragen aus dem Mund verschiedener Menschen, dazu die Behauptung des Verteidigers, ich als Opfer trage irgendwie die Schuld an der Tat. Obwohl ich wusste, wie absurd diese Vorwürfe waren, hatten sie mich getroffen, und mitunter gingen sie mir heute noch durch den Kopf. Wäre ich damals nicht allein gejoggt … Ich war draußen überfallen worden, während Heini den Täter freiwillig in ihre Wohnung gelassen hatte. Es gab Richter, die diesen Umstand als strafmildernd betrachteten.
Timonen kam wieder herein, er streifte sich neue Füßlinge über.
«Da draußen stehen ein paar Neugierige, ich hab ihnen befohlen, die Kamerahandys wegzustecken. An eurer Stelle würde ich Fräulein Korhonen etwas anziehen, was ihr Gesicht verbirgt. Fahren wir sie zur Untersuchung?»
Ich erwiderte, darum würde ich mich kümmern. In dieser Situation musste ich an Heini denken, nicht an meine Vergangenheit oder an die Kollegen, die damals als Erste zum Tatort gekommen waren. Das hier war nicht mir passiert.
«Alles in Ordnung, Maria?», fragte Rasilainen. Sie kannte mich zu gut.
«Ja, ja. Ich bringe Heini Korhonen in die Klinik und sorge dafür, dass sie ein sicheres Nachtquartier bekommt. Bleib du mit der Technik in Verbindung. Im Prinzip liegt die Ermittlungsleitung bei Ruuskanen, ich kläre mit ihm ab, wie die Arbeitsteilung aussehen soll. Heini hat mich angerufen, weil sie mich kannte.»
Insgeheim wunderte ich mich darüber, dass Heini nicht im Mädchenclub gewesen war, obwohl freitags der beliebte Improvisationsabend stattfand. Ich nahm eine weite Trainingshose, einen Slip und eine Bluse aus dem Schrank. BH s besaß Heini anscheinend nicht. Die zerrissene Bluse sollte sie unter der neuen anbehalten, bis wir beim Arzt waren, danach würde ich sie an mich nehmen und den Kriminaltechnikern bringen.
«Heini, hast du Binden? Die wären jetzt nützlich.»
«Warum? Ich habe doch gar nicht meine Tage.»
Ich verlor keine Zeit mit Erklärungen, sondern blickte noch einmal in die Kleiderschränke und ging schließlich ins Bad. Im Badezimmerschrank lagen nur Tampons, doch in meinem Einsatzkoffer fand sich eine Mullbinde, die ich Heini reichte. Sie zog sich langsam und ungeschickt an wie ein fünfjähriges Kind, das herumtrödelt, weil es nicht in den Kindergarten will.
«Tut es dir sehr weh? Möchtest du ein Schmerzmittel?»
Sie sah mich befremdet an. Ich hätte sie gern in den Arm genommen, tat es aber nicht, sondern nahm einen Anorak vom Garderobenhaken, hielt ihn ihr hin und riet ihr, die Kapuze über den Kopf zu ziehen, wenn wir das Haus verließen.
«Soll ich dir die Sachen zum Übernachten zusammenpacken, Nachthemd, Zahnbürste? Was brauchst du sonst noch? Zu wem könntest du gehen?»
«Warum?», fragte Heini wieder.
«Die Kriminaltechniker müssen deine Wohnung untersuchen, deshalb wird sie bis morgen versiegelt. Fahren wir erst mal zur Klinik, danach bringe ich dich, wohin du willst. Keine Angst, Heini. Ich stehe dir bei. Wir müssen dir Fragen stellen, aber das tun wir nur, damit Samir seine gerechte Strafe bekommt.»
Da sie keine Antwort gab, nahm ich ein Nachthemd aus dem Schrank, ein violett-rosa gestreiftes Marimekko-Modell, dazu Unterhose und Socken. Ich packte alles in einen der Plastikbeutel aus meinem Einsatzkoffer. Dann holte ich noch Zahnbürste und Hautcreme aus dem Bad. Vielleicht würde der Arzt Heini über Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus behalten – falls es freie Betten gab. Es konnte gut sein, dass wir stundenlang im Wartezimmer sitzen mussten.
Heini ging hinter mir her zu meinem Wagen. Neben dem Polizeifahrzeug standen ein paar ältere Männer, die enttäuscht wirkten, als statt der Uniformierten zwei Frauen aus dem Haus traten, die eine unbekannt, die andere unter der großen Kapuze unkenntlich. Meinem Wagen war nicht anzusehen, dass er dienstlich benutzt wurde. Heini setzte sich neben mich und schnallte sich an. Der Freitagabendverkehr rollte durch die Straßen von Espoo wie immer, Menschen kamen von der Arbeit zurück, fuhren zum
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