Sag mir, wo die Mädchen sind
Mikrophon. Dann setzte ich mich neben Heini. Das Bett war gemacht, die Tagesdecke glatt gestrichen. Hatte sie nach der Vergewaltigung automatisch alles in Ordnung gebracht, oder war die Tat nicht hier geschehen? Die Einzimmerwohnung hatte eine Kochnische und einen kleinen Balkon, auf dem ein Wäschetrockner stand. Heini schien eine Vorliebe für hellviolette Unterwäsche zu haben.
«Ich weiß es ja. Man muss es der Polizei erzählen. Man darf nicht schweigen, auch wenn man es lieber täte.» Die Worte kamen langsam, als ob irgendetwas Heini am Sprechen hinderte.
«Du brauchst jetzt nichts zu sagen, wenn du keine Kraft hast.»
«Ich muss einfach die Kraft haben. Ich habe genau den Fehler gemacht, vor dem ich die Mädchen immer wieder gewarnt habe. Lass keine Fremden in deine Wohnung. Aber es war ja kein Fremder, sondern Samir, Saras Bruder. Den der Krieg kaputt gemacht hat. Er saß im selben Bus wie ich, ich habe ihn zum Kaffee eingeladen. Er hat sich gefreut, weil er sich mit jemandem außerhalb der Familie in seiner Muttersprache unterhalten konnte. Ich dachte, er wüsste vielleicht etwas von Sara. Ich hatte gerade erst den Kaffee in den Filter getan, als er sich auf mich stürzte. Und er ist stark.»
Heini war mittelgroß, ein paar Zentimeter größer als Samir, und wirkte durchtrainiert, aber offenbar hatte der Angriff sie so geschockt, dass sie kaum fähig gewesen war, sich zu wehren. Timonen bemühte sich vergeblich, mit Samir zu sprechen, der sich in seiner eigenen Welt zu befinden schien. Der Krankenwagen wurde eher für ihn gebraucht als für Heini, die ich selbst zur Notaufnahme chauffieren konnte.
«Bitte versteh, dass ich dir diese Frage stellen muss: Du hast Samir Amir auf keinen Fall den Eindruck vermittelt, dass du Sex mit ihm willst?»
«Nein!», flüsterte Heini scharf.
«Wo ist es passiert?»
«Er hat mich auf den Boden geworfen, mich mit der einen Hand gewürgt und mir die Kleider weggerissen … Ich erinnere mich nicht genau.»
Liisa Rasilainen winkte mich in den Flur.
«Die Techniker können erst morgen kommen, wir müssen die Wohnung versiegeln. Vielleicht kann Heini Korhonen zu Bekannten oder zu ihren Eltern gehen, andernfalls müssen wir ihr ein Hotelzimmer besorgen. Der Tatverdächtige ist total von der Rolle. Ich würde es nicht wagen, ihn in eine Zelle zu stecken.»
«Was war hier los, als ihr angekommen seid?»
«Die Frau hat uns aufgemacht, sie hatte sich in ein Badetuch gewickelt und hielt ein Brotmesser in der Hand. Das habe ich ihr abgenommen und eingetütet.»
«Hockte der Verdächtige, der übrigens Samir Amir heißt, zu dem Zeitpunkt schon in der Ecke?»
«Genau am selben Fleck. Er hat die ganze Zeit nichts gesagt. Was ist seine Muttersprache?»
«Ein bosnischer Dialekt des Serbokroatischen. Er kann ein wenig Finnisch, aber für die Vernehmung brauchen wir einen Dolmetscher – wenn es irgendwann mal so weit ist.»
Es klingelte. Die Sanitäter standen vor der Tür. Sie zeigten keine Verwunderung darüber, dass sie statt des Opfers den Tatverdächtigen behandeln sollten. Einer der beiden, an dessen Overall der Name Oinonen stand, fragte, wie es zu Samirs Zusammenbruch gekommen war.
«Ich weiß nicht.» Heini sprach immer noch langsam. «Er … er ist danach aufgestanden. Ich hatte die Augen zu und gehört, wie er die Balkontür aufmacht, aber ich hatte Angst, mich zu bewegen. Erst als er auf dem Balkon war, bin ich in die Küche gerannt, weil ich wusste, wo das Messer ist. Als er das sah, fing er an zu weinen und setzte sich auf den Fußboden. Ich habe die Balkontür zugemacht, weil es so furchtbar kalt war, und dann die Polizei angerufen.»
Samir reagierte nicht, als die Sanitäter zu ihm traten. Erst als Oinonen ihn berührte, jaulte er wieder auf wie ein erschrockener Hund. Danach ließ er sich widerstandslos hochziehen. Sein Hosenstall stand offen, er trug keine Socken, und die äußeren, nagellosen Zehen an seinem rechten Fuß wirkten schutzlos. Die Sanitäter stützten ihn, Timonen verließ die Wohnung mit ihnen.
«Ich helfe mit, ihn ins Auto zu verfrachten», rief er Liisa Rasilainen zu.
Ich suchte in der Wohnung nach Kampfspuren. Im Zimmer standen die üblichen Möbel, Sofa, Sessel, Fernsehtisch und neben der Kochnische ein Esstisch mit zwei Stühlen. Kein Möbelstück war umgekippt. Wenn Heini in der Kochnische bei der Kaffeemaschine gestanden hatte, hätte Samir sie möglicherweise auf den Teppich zwischen Sofa und Fernsehtisch zerren können, ohne die
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