Sag mir, wo die Mädchen sind
die Regeln. Heini schwebte in den Behandlungsraum wie ein seelenloses Gespenst; durch den Türspalt sah ich, dass sie von einer jungen Ärztin und einer älteren Krankenschwester erwartet wurde. Obwohl das Geschlecht des Pflegepersonals keine Garantie für empathisches Verhalten bot, war es in dieser Situation ein Glück, dass Heini nicht von einem Mann untersucht wurde.
Ich bat Kimmo Korhonen auf den Gang, wo wir ungestört sprechen konnten. Dann erzählte ich ihm, dass Heini einen Bekannten zum Kaffee mit nach Hause genommen hatte, wo der Mann sie völlig überraschend angefallen und vergewaltigt hatte. Ich sagte ihm auch, dass der Täter in Polizeigewahrsam war.
«Wer ist der Kerl? Kommt er wenigstens in Gefängnis? Das war bestimmt einer von den Kanaken, deren Schwestern Heini in ihrem Club verhätschelt.» Kimmo Korhonens Ausbruch kam so plötzlich, dass ich erst nach einer Weile zu einer Antwort fähig war.
«Ich weiß nicht, was Sie unter Kanaken verstehen. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber bei dem Tatverdächtigen handelt es sich um den bosnischen Muslim Samir Amir.»
«Wie konnte Heini so blöd sein, den Kerl zu sich einzuladen!»
Ich zählte bis drei, dann bis zehn. Am liebsten hätte ich den geschniegelten Burschen an seinem Seidenschlips gepackt, der den gleichen Blauton hatte wie das Kreuz auf der finnischen Fahne, doch ich legte meine ganze Wut in meine Stimme.
«Ihrer Schwester Vorwürfe zu machen, ist das Schlimmste, was Sie ihr jetzt antun können. Sie hat nichts Falsches getan.»
Kimmo Korhonen wurde rot. «Nein, nein, natürlich nicht. Bei diesen Mohammedanern weiß man nie, woran man ist. Mit denen lässt man sich besser gar nicht erst ein. Heini ist einfach zu blauäugig. Vielleicht sieht sie das jetzt endlich ein.»
Selbst wenn ich ihm eine halbstündige Predigt gehalten hätte, wäre er von seiner Ausländerfeindlichkeit wohl nicht abgerückt, also ließ ich es bleiben. Allerdings beschwor ich ihn noch einmal, Heini keine Vorwürfe zu machen. Eine Vergewaltigung war nicht die Schuld des Opfers.
Als ich in meinem Wagen saß, zitterten mir die Hände dermaßen, dass ich den Zündschlüssel kaum ins Schloss bekam. Ich wollte nach Hause, in die Geborgenheit, mich einriegeln. Obwohl ich wusste, dass der Mann, der mich vor fünf Jahren unheilbar verletzt hatte, immer noch im Gefängnis saß, packte mich die Angst, das Gefühl der Bedrohung, das sich von der Vernunft nicht vertreiben ließ. Indem ich mir abwechselnd das linke und das rechte Nasenloch zuhielt, gelang es mir schließlich, meine Atmung in den Griff zu bekommen, und ich war fähig, nach Hause zu fahren.
Am Wochenende brauchte ich nicht zu arbeiten. Ruuskanen, den ich telefonisch über den Stand der Dinge unterrichtete, war der Ansicht, die genauere Befragung von Heini Korhonen könne bis zur nächsten Woche warten. Diese Aufgabe solle ich übernehmen, weil ich eine Frau war. Wir fanden beide, dass Ursula Honkanen wahrscheinlich zu fanatisch und die Praktikantin Jenna Ström zu unerfahren dafür war. Samir Amir konnte vorläufig nicht vernommen werden, da er nach seiner Tat in eine reaktive Psychose gefallen war.
«Vielleicht simuliert er bloß, um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden», überlegte Ruuskanen.
«Ich glaube nicht, dass man eine Psychose so einfach simulieren kann. Er hat eine sehr traumatische Kindheit gehabt, er ist in einem Flüchtlingslager aufgewachsen, wo wer weiß was passiert ist.»
Ruuskanen schnaubte nur. «Vielleicht wäre mein Vater nach den heutigen Kriterien auch als Verrückter behandelt worden. Der ist mit siebzehn an die Front gekommen und hat den Iwans ein Bein geopfert. Aber er war nicht traumatisierter als alle anderen Kriegsheimkehrer. Ist zur Berufsschule gegangen und Maschinentechniker geworden und hat noch als alter Mann seine Enkel mit seinem Holzbein unterhalten. Unser Miro hat den Opa immer angebettelt, das Bein abzunehmen, und wollte es allen seinen Freunden zeigen. Die anderen hatten nämlich keinen einbeinigen Opa.»
Der Großvater meiner Kinder hatte noch beide Beine, doch seine Rückenschmerzen ließen nicht nach. Schließlich bestellten wir einen Arzt, der ihm stärkere Schmerzmittel verschrieb und ihm erklärte, welche gymnastischen Bewegungen ihm helfen konnten.
«Notfalls können Sie im Invalidentaxi nach Hause fahren, aber warten wir erst noch ein paar Tage ab», sagte der Arzt.
Am Samstagabend beschlossen Antti und ich, uns in der Stadt einen
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