Sag mir, wo die Mädchen sind
schönen Abend zu machen, immerhin war mein Vater als Kindermädchen im Haus, auch wenn er sich nicht bewegen konnte. Wenn Menschen aus Espoo «in die Stadt» fahren, meinen sie das Zentrum von Helsinki. Wir schlossen einen Kompromiss: Wir gingen zuerst in ein Scarlatti-Klavierrezital, das Antti sehr genoss, während ich, ehrlich gesagt, beinahe einschlief, dann aßen wir beim Italiener, und zum Schluss zogen wir ins «Semifinal», um ein paar meiner Lieblingsbands zu hören. Antti ließ sich sogar dazu hinreißen, mit mir Pogo zu tanzen, und im Taxi küssten wir uns wie Teenager. Wir schlichen uns auf Zehenspitzen ins Haus, um meinen Vater nicht zu wecken. Tatsächlich schlief er ruhig weiter; Iida dagegen war wach und kam mit ernster Miene ins Schlafzimmer.
«Mutti, wie kannst du dir einen schönen Abend machen, wenn Heini Korhonen vergewaltigt worden ist?»
«Woher weißt du das denn?»
«Das wissen alle. Wir sind auf der Mailingliste des Mädchenclubs.»
«Hat Heini an die Liste geschrieben?»
«Nein, aber irgendwer … Ich weiß nicht. Es ist also wahr!»
«Ja. Der Täter ist schon gefasst worden, und ich habe Heini zum Arzt gebracht.»
«Dann hast du es also schon gestern gewusst? Wieso hast du mir nichts davon gesagt?»
«Das durfte ich nicht, wegen der Schweigepflicht. Darüber haben wir doch schon oft gesprochen.»
«Was soll die blöde Schweigepflicht, wenn sowieso alles im Internet steht!»
Ich war zu müde, um die Sache sofort zu überprüfen, außerdem ließ Iida sich nicht so schnell beruhigen. Ich saß bis halb vier an ihrem Bett, und bis dahin hatte sich auch der letzte Rest Alkohol in meinem Blut verflüchtigt. Am Sonntag kroch ich erst gegen Mittag aus dem Bett, fühlte mich aber immer noch unausgeschlafen. Iida schlief noch, als ich Kaffee getrunken hatte. Ich strich ihr vorsichtig über die hochtoupierten Haare.
«Steh auf, Schatz, sonst kommt dein Schlafrhythmus völlig durcheinander.»
Meine Tochter sah aus wie ein kleiner Troll und machte fast dasselbe Gesicht wie als Dreijährige, wenn ich sie aus dem Schlaf gerissen hatte, um sie zur Kita zu bringen.
«Nach dem Frühstück zeigst du mir mal diese Mailingliste. Ich will nicht in deinen Chats lesen, verstehst du, aber in diesem Fall muss ich eingreifen.»
«Ich kann den Computer gleich einschalten, wenn du mir eine Tasse Kakao bringst.» Sie stand auf und streckte sich. Die Haut am Rücken und an den Armen war noch glatt und frei von Pickeln, doch der Busen, der sich unter dem dünnen Nachthemd abzeichnete, war schon voll entwickelt. Ich ging in die Küche und kochte starken Kakao mit einer winzigen Prise Zucker, so wie Iida ihn mochte. Mein Vater hatte es geschafft, sich auf die Seite zu rollen, und las stöhnend Zeitung. Antti hatte ihm Brot, Kaffee und Saft gebracht. Taneli war mit einem Freund zum Schlittschuhlaufen gegangen, die Mutter des Jungen hatte ihn abgeholt. Mein Vater sagte, Antti sei schon auf gewesen, als Taneli ging. Ich blockte meine Gewissensbisse ab: Es genügte, wenn ein Elternteil dem Kind nachwinkte.
«Heini hat das selbst gepostet. Guck hier, ihr Kürzel ist HeiniK.»
Ich beugte mich vor und las. «Warnung an alle Mädchen. Lasst nie jemanden in eure Wohnung, den ihr nicht hundertprozentig kennt. Jeder Mann kann ein Vergewaltiger sein, der dich überrascht und dir Gewalt antut.» Und so weiter. Heini hatte allem Anschein nach schwer die Nerven verloren.
Ich rief nicht sie an, sondern Nelli Vesterinen, die ebenfalls Moderatorin der Liste war. Sie hatte seit Samstagabend nicht mehr auf die Liste geschaut und war vollkommen entsetzt, als sie hörte, was dort stand.
«Ist das wahr?»
«Leider ja. Du hast also nicht mit Heini gesprochen?»
«Nein! Sie hatte am Freitagabend frei, und außerhalb der Arbeitszeit haben wir praktisch keinen Kontakt. Wie furchtbar! Wer hat das getan?»
In aller Kürze erzählte ich ihr die Fakten, wobei ich für Samir Amir grundsätzlich den Begriff Tatverdächtiger verwendete. Ich bat Nelli, das Posting und die bereits eingetroffenen Antworten zu entfernen.
«Sollte ich an die Mailingliste schreiben, dass sich ein Hacker mit Heinis Passwort eingeschlichen hat? Heini würde so was doch nie tun, die Mädchen absichtlich schockieren …»
«Vielleicht nicht. Ich melde mich später noch mal.»
Da Iida ins Erdgeschoss gegangen war, blieb ich an ihrem Computer sitzen. Ich suchte in den Chatforen nach Heinis Namen. Die Nachricht von der Vergewaltigung fand sich bereits in vielen
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