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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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und Koivu keine Anweisungen zu geben, sie wussten, was sie zu tun hatten. Nachdem sie den Raum verlassen hatten, beruhigte Samir sich allmählich. Aune Kämäräinen war zwar eine Außenstehende, doch sie schien die Familie Amir gut zu kennen, deshalb mochte ich sie nicht fortschicken.
    «Sie haben gesagt, Sara sei in Bosnien. Sind …»
    Weiter kam ich nicht, denn als Samir das Wort Bosnien hörte, begann er wieder zu zittern und rief:
    «Nicht dahin! Nicht Samir!»
    Aune Kämäräinen brauchte ihre ganze Kraft, um den Jungen festzuhalten, und Koivu spähte einsatzbereit aus der Frauenstube.
    «Niemand bringt dich weg», versicherten Frau Kämäräinen und ich im Chor.
    Samir war im Herbst 1989 geboren, er war also noch klein gewesen, als der Bosnienkrieg begann. Sein Vater hatte auf der Abschussliste der Serben gestanden, doch es war der damals erst dreiköpfigen Familie gelungen, von einem Lager ins andere zu fliehen. Alen, das zweite Kind, war 1993 mitten im Lagerchaos zur Welt gekommen, und das dritte, Sara, war noch kein Jahr alt gewesen, als die Familie um Haaresbreite dem Blutbad von Srebrenica entging. Samir war damals sechs gewesen, alt genug, um das Entsetzen zu begreifen und sich vor Schmerz und Tod zu fürchten.
    «Sara wollte auch nicht hin», sagte Samir plötzlich klar und verständlich. «Aber Vater hat gesagt, sie muss gehen, weil sie hier falsche Sitten lernt. Sie ist mit schlechten Jungen zusammen. Onkel Emir hat Sara abgeholt, obwohl sie nicht nach Bosnien wollte. Vater wird böse, weil ich es euch erzählt habe. Er hat gesagt, wenn ich nicht den Mund halte, schickt er mich auch weg.»
    «Warum soll es für Sara in Bosnien besser sein?»
    «Da hat man noch die alten Sitten, keine ungläubigen Jungen. Für Mädchen ist es besser dort, Jungen kommen auch hier zurecht. Meine jüngsten Brüder sind in Finnland geboren, sie wissen nichts von Bosnien. Wollen Eishockey spielen wie die Finnen.»
    Koivu erschien erneut an der Tür.
    «Maria, hier wird dein Sachverstand gebraucht. Kommst du mal?» Er betrat das Wohnzimmer, wobei er seine freundlichste Miene aufsetzte. Samir presste sich an die Sofalehne, als Koivu näher kam. Ich stand auf und ging in die Frauenstube. Sie hatte dieselbe Grundfläche wie das kleinste Zimmer in der Wohnung von Ali Jussufs Familie, aber die Amirs hatten das Platzproblem mit einem Etagenbett gelöst. Am Fenster stand ein Schreibtisch mit einem klobigen Computer, der aussah, als sei er mindestens zehn Jahre alt. Neben dem PC lag ein Stapel Bücher über Blumen.
    «Das obere Bett ist nicht bezogen, das dürfte also Saras sein», erklärte Puupponen. «Aber kannst du als Frau feststellen, welche von den Kleidern Sara gehören und welche ihrer Mutter? Ich verstehe von dem Frauenkram nichts, und Koivus Tochter ist noch zu klein für Make-up und Mode.»
    Ich öffnete die Kleiderschränke. Im ersten lag Bettwäsche, im zweiten hingen hauptsächlich lange Röcke und blickdichte, hochgeschlossene Tunikas, die nicht nach der normalen Kleidung einer Vierzehnjährigen aussahen. Der dritte Schrank enthielt nur wenige Kleidungsstücke, vorwiegend Saisonware von billigen Jugendmodeketten, aber auch Schnürtops, nabelfreie Hemdchen und Miniröcke, die bereits aus der Mode gekommen waren. Die Leggings in schreiendem Pink waren das gleiche Modell, das auch Iida vor zwei Jahren getragen hatte, bevor ihre schwarze Phase begann.
    «Das dürfte Saras Schrank sein.»
    «Schön. Aber warum sind die Kleider noch im Schrank, wenn Sara in Bosnien bleiben soll? Warum hat man sie nicht weggeworfen?», fragte Puupponen. «Und was ist mit denen hier?» Er zog eine mit Schmuck gefüllte Schreibtischschublade auf und holte eine Schachtel Antibabypillen unter dem Schmuck hervor. «Da steht kein Name drauf. Saras Mutter ist siebenundvierzig, kann sein, dass sie noch die Pille nehmen muss.»
    «Zeig mal.» Ich nahm die kreisrunde Folienpackung in die Hand. Vier Pillen fehlten. Es handelte sich um ein Kombinationspräparat. Ich rief mir Saras Foto ins Gedächtnis. Sie hatte einige Pickel, aber keine schwere Akne, die eine Behandlung mit Hormontabletten erfordert hätte. Mir fielen die Bemerkungen über Saras Freund Tommi ein, die ich im Mädchenclub gehört hatte.
    «Hast du für die Pillen ein Rezept gefunden?» Als Puupponen verneinte, trug ich ihm auf, die Suche fortzusetzen. «Wir müssen Saras Mutter danach fragen. Manchmal wird die Pille ja auch Teenagern verschrieben, nicht zur Verhütung, sondern aus

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