Sag mir, wo die Mädchen sind
gefunden worden, und schon jetzt machte der Fall per SMS und vermutlich auch im Internet die Runde. Ruuskanens Team war sicher bereits in vollem Einsatz.
«Das hat bestimmt etwas mit unseren Mädchen zu tun, da muss es eine Verbindung geben. Alle Mädchen sind Teenager, Migrantinnen und Muslimas. Was glaubst du, was das für einen Zirkus gibt!», rief Puupponen.
«Ich bin auch der Meinung, dass eine Verbindung zu den Fällen unserer Zelle besteht und deshalb wir die Ermittlungen übernehmen sollten. Sobald wir hier fertig sind, spreche ich mit Ruuskanen und Taskinen.»
Der Drang, Iida aus der Schule zu holen, sie nach Hause zu bringen und zu trösten, war fast übermächtig. Ich war sicher nicht die einzige Mutter, die heute die Frage beantworten musste, wie so etwas geschehen konnte. Für Unbeteiligte war Noors Tod nur eine Nachricht unter anderen, aber für die Mädchen aus dem Club, für Noors Mitschüler und Nachbarn war er ein schrecklicher Teil des eigenen Lebens. Obwohl die Amokläufe in den letzten Jahren den Menschen vielleicht klargemacht hatten, dass das Schlimmste jeden treffen konnte, waren nur wenige fähig oder willens, sich darauf vorzubereiten. Ich wünschte mir nicht viel mehr vom Schicksal, als dass es mir ersparte, meine eigenen Kinder beerdigen zu müssen, aber wer konnte mir garantieren, dass mein Wunsch erfüllt wurde? Zwei von Aishas Töchtern waren verhungert. Altersgenossen meiner Großmutter hatten auch in Finnland miterleben müssen, wie ihre Kinder von Epidemien dahingerafft wurden. Heutzutage konnte man in unserem Land Ungeborene versichern, doch Geld ersetzte kein verlorenes Leben.
Puupponen und Koivu beschlossen, Ayans Brüder aufzuspüren, mich aber zuvor beim Präsidium abzusetzen, wo ich versuchen wollte, Einblick in den Stand der Ermittlungen im Mordfall Noor zu gewinnen. Ich hatte keine Lust, mich mit Ruuskanen über die Zuständigkeiten zu streiten.
«Verdammte Scheiße», fluchte Koivu im Auto. Er saß am Steuer, Puupponen bediente den Computer. Wir hatten Samir in Aune Kämäräinens Obhut zurückgelassen, und sie hatte es geschafft, ihn zu beruhigen. Der Grund für sein Geheul hatte sich jedoch nicht geklärt. Frau Kämäräinen hatte berichtet, er bekomme keine Medikamente und gehe auch nicht zur Therapie, vorläufig beziehe er Erwerbsunfähigkeitsrente.
«Zum Glück kann der Junge bei seinen Eltern leben, allein käme er nicht zurecht», sagte sie noch, als ich gerade die Tür schloss. Ich war froh, dass sie uns nicht über den Mord ausgefragt hatte, obwohl sie gehört haben musste, was Puupponen mir vorgelesen hatte.
«Über die Tat wurde um zwölf Uhr eine Pressemitteilung herausgegeben, das heißt, man hat die Tote schnell identifiziert und die Angehörigen benachrichtigt. Inzwischen sind die Internet-Kriminalisten schon in voller Fahrt», seufzte Puupponen. «Die wissen ja immer alles besser als die Polizei. Die Tötungsart ist bekannt, aber zumindest in dem Forum, das ich hier vor mir habe, steht nichts darüber, dass Noor mit ihrem eigenen Kopftuch stranguliert wurde. In der Pressemitteilung der Polizei auch nicht. Wo hat Iidas Freundin diese Information her?»
«Anni kennt Iida vom Eiskunstlauf, sie geht in Olari zur Schule. Wenn auch nur einer der Schüler die Leiche gesehen hat, genügt das, um die Nachricht in Umlauf zu setzen.»
Koivu hielt vor dem Polizeipräsidium, ich stieg aus. Das Gebäude war gerade erst fertiggestellt worden, als ich bei der Espooer Polizei angefangen hatte. Es wirkte nicht unbedingt einladend, sondern vermittelte eher den Eindruck, dass man es nur aus unangenehmen Gründen betrat, dabei befand sich im Erdgeschoss auch das Büro, in dem Pässe und Führerscheine ausgestellt wurden. Ich schob mich an der Warteschlange vorbei, öffnete mit meiner Schlüsselkarte die Tür zum Treppenhaus und ging in den ersten Stock hinauf. Nachdem ich Mantel und Handtasche in meinem Dienstzimmer abgelegt hatte, machte ich mich auf den Weg zu Markku Ruuskanen. An meinem ersten Arbeitstag hatten wir uns nur kurz begrüßt und uns gegenseitig versichert, unsere Zusammenarbeit werde reibungslos verlaufen. Ruuskanen hatte gesagt, er sei froh, dass für die Untersuchung von Gewaltdelikten zusätzliche Ressourcen bewilligt worden waren. In den letzten Jahren war der Schwerpunkt vor allem auf die Wirtschaftskriminalität gelegt worden, ein Bereich, in dem die Ermittlungen mitunter Jahre in Anspruch nahmen, weil man es nicht mit chronisch betrunkenen
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