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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Kleinkriminellen zu tun hatte, die nach der ersten Nacht in der Zelle unter Entzugserscheinungen ein volles Geständnis ablegten.
    Im Flur des Gewaltdezernats roch es wie gewohnt nach abgestandenem Kaffee, doch darüber lag ein neuer Geruch, ein schweres Moschusparfüm. Die Geruchsquelle, Hauptmeisterin Ursula Honkanen, kam gerade von der Toilette. Ich war ihr noch nicht begegnet und wusste nicht, ob sie über meine Rückkehr erfreut war. Während der Ermittlungen in dem letzten Fall, den wir gemeinsam untersucht hatten, hatte sie mir in einer plötzlichen Gefühlsaufwallung anvertraut, ihr sei die Gebärmutter entfernt worden und sie könne deshalb keine Kinder bekommen, doch offenbar hatte sie ihre Enthüllung bereut, denn bald danach war sie wieder auf Distanz gegangen. Auch jetzt machte sie keine Anstalten, mich zu umarmen oder mir auch nur die Hand zu geben, sondern sah mich spöttisch lächelnd an.
    «Schau an, die Kallio! Hast du dich verlaufen? Euer Spezialtrupp, oder wie immer eure komische Zelle sich nennt, haust doch auf der anderen Seite, oder?»
    Puupponen und ich hatten früher die Angewohnheit gehabt, morgens eine Wette abzuschließen, auf wie hohen Absätzen Ursula an diesem Tag zur Arbeit kommen würde. Weniger als sieben Zentimeter waren es selten gewesen. Aber nun trug sie fast flache, modische Overknee-Stiefel aus schwarz und rot gemustertem Wildleder. Der Parfümgeruch war noch stärker geworden, vielleicht hatte sie sich auf der Toilette frisch parfümiert. Und sie hatte mehr Make-up im Gesicht, als ich in einer ganzen Woche verbrauchte. Ansonsten sah Ursula unverändert aus, vertraut. Ich hatte auch sie vermisst, wie ich insgeheim zugeben musste.
    «Tag, Honkanen», sagte ich zu ihr. «Wie man hört, habt ihr einen Mord am Hals.»
    «Ja. Obendrein an einem Teenager. Lehtovuori stellt gerade die Ermittlungswand auf. Ruuskanen hält heute in Turku einen Vortrag, aber den Anfang schaffen wir auch ohne Chef. Mit mir sind wir jetzt zu viert, und nächste Woche bekommen wir eine Praktikantin. Ihr Vater hat anno Schnee und dazumal hier gearbeitet. Der Typ, der sich erschossen hat.»
    Ich wusste sofort, von wem sie sprach. Während meiner letzten Unterrichtsperiode an der Polizeifachhochschule hatte mich in der Kantine eine junge Polizeianwärterin angesprochen. Sie war mir bekannt vorgekommen, doch ich hatte sie nicht einordnen können. Ihre Augen waren braun, ihre glatten, asymmetrisch geschnittenen Haare blond und zart wie Babyflaum. Trotz Tönungscreme waren die Aknenarben in ihrem Gesicht zu sehen, wenn man nahe genug herankam. Sie war etwa zwanzig Zentimeter größer als ich und breitschultrig, der Polizeioverall stand ihr prächtig.
    «Hallo, du bist doch Maria Kallio?»
    «Ja.»
    Die junge Frau hielt mir die Hand hin. Am Ringfinger funkelte ein auffälliger Amethystring.
    «Du erkennst mich sicher nicht wieder. Jenna Ström. Perttis Tochter.»
    Ich hatte gewusst, dass ich Pertti Ströms Kindern Jenna und Jani eines Tages begegnen würde. Er war bereits seit zwölf Jahren tot, aber ich musste oft an ihn denken. Jenna hatte von ihrem Vater die Haut, den Körperbau und die Gesichtszüge geerbt, während ihre Augen denen ihrer Mutter Marja glichen, die ich nur zweimal gesehen hatte: als ich ihr die Nachricht brachte, dass ihr Exmann, Jennas und Janis Vater, tot war, und bei Perttis Beerdigung.
    Zuerst gab ich Jenna nur die Hand, doch dann zog ich sie an mich. Sie erwiderte meine Umarmung unbekümmert, es war ein gutes Gefühl. Als wir uns voneinander lösten, betrachtete ich sie erneut. Auf ihrem Namensschild stand Ström, und der vertraute Schriftzug weckte schmerzhafte Erinnerungen. Pertti und ich hatten zusammen die alte Polizeischule in Tammela besucht, im selben Wohnheim gelebt und auf dem Schießstand ebenso wie auf dem Joggingpfad miteinander gewetteifert. Nach der Ausbildung hatten sich unsere Wege etwa ein Jahrzehnt lang getrennt, dann waren wir bei der Espooer Polizei wieder zusammengetroffen. Bei seinem Tod war Jenna elf gewesen.
    Ich hatte gerade zu Mittag gegessen und mein Geschirr weggebracht, aber keine Eile, denn mit dem Unterricht war ich bereits fertig, und die Kollegin, die versprochen hatte, mich nach Espoo mitzunehmen, konnte erst am frühen Abend losfahren. Ich fragte Jenna, ob sie Zeit habe, eine Tasse Kaffee mit mir zu trinken. Wir suchten uns einen ruhigen Tisch.
    «Du bist also jetzt Polizeianwärterin», stellte ich fest, als wir in unseren Cappuccinos rührten. Ihr Vater

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