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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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aber trotzdem …»
    «Was haben Saras Eltern über ihre Reise gesagt?»
    «Dass sie Verwandte in Bosnien besucht und dort zur Schule geht. Dass es dort jetzt nicht mehr gefährlich ist. Sara fehlt mir. Sie ist hilfsbereit, geht manchmal für mich einkaufen und hilft mir, die Teppiche nach draußen zu tragen. Ein nettes Mädchen, allerdings sehr hinter den Jungs her. Aber das sind sie in dem Alter wohl alle.»
    Während ich den Schlüssel ins Schloss steckte, führte Koivu das Gespräch fort.
    «Wie zeigt sich dieses Interesse an Jungen?»
    «Sie kichert und flirtet, schminkt sich furchtbar stark. Dreht sich die Haare auf und trägt kein Kopftuch, aber das gilt in ihrer Familie wohl nicht als schlimme Sünde. Bei einigen Nachbarn ist das anders. Ein paar Männer aus dem Haus wagen nicht mal, mich anzusehen, wenn ich ohne Kopftuch nach draußen gehe, dabei bin ich doch schon ein altes Weib!» Die Frau kicherte leise vor sich hin.
    Als ich die Tür aufschloss, setzte das Geheul wieder ein. Der Geruch nach weihnachtlichen Gewürzen wurde intensiver, und als ich in die Küche spähte, sah ich einen Gewürzkuchen auf dem Tisch.
    «Ist hier jemand?», rief ich. Puupponen folgte mir. Das Geheul war verstummt. Aus der Diele gelangte man ins Wohnzimmer, an dessen Ende eine Tür in ein weiteres Zimmer führte. Das Wohnzimmer war nicht anders eingerichtet als in einer ganz normalen finnischen Wohnung, wo die Möbel vor allem nach der Funktionalität und dem Preis ausgewählt wurden. Eine dunkelblaue Sitzgruppe und ein Flachbildfernseher beherrschten den Raum. Im Regal standen nur wenige Bücher, dafür aber zahlreiche Nippesfiguren und Gestecke aus künstlichen Blumen. Der üppige Blumenstrauß auf dem Sofatisch schien aus echten Rosen zu bestehen, doch als ich daran schnupperte, stellte ich fest, dass die Blumen aus Seide waren.
    Auf einmal schrie hinter mir jemand auf. Ich drehte mich um und sah Puupponen an einer der Schlafzimmertüren den Angriff eines jungen Mannes abwehren. Er überragte den Angreifer um zwanzig Zentimeter, doch der junge Mann fuchtelte blindlings mit einem Brotmesser herum. Er knurrte leise, schrie aber zwischendurch gellend auf wie ein Vogel.
    Als er die Schreie gehört hatte, war auch Koivu in die Wohnung gestürmt. Wir eilten Puupponen zu Hilfe, der sich langsam ins Wohnzimmer zurückzog, sodass Koivu hinter den Angreifer gelangte. Ich warf mich auf den Boden und packte den jungen Mann an den Füßen. Sie waren nackt, und an den beiden äußeren Zehen des rechten Fußes fehlten die Nägel. Ich brachte den Angreifer aus dem Gleichgewicht, indem ich seine Knöchel gegeneinanderpresste, worauf es für Puupponen eine Leichtigkeit war, die Hand mit dem Messer zu packen und den Jungen zu entwaffnen. Koivu drehte ihm die Arme auf den Rücken und drückte seinen Kopf nach unten. Der Junge war vollkommen schlaff geworden, Koivu musste alle Kräfte anspannen, um ihn auf den Beinen zu halten.
    «Tut Samir nicht weh!», rief Frau Kämäräinen, die hinter Koivu hereingekommen war. Puupponen holte die Handschellen hervor, doch ich schüttelte den Kopf. Der Junge schien keinen Widerstand mehr leisten zu wollen. Er war zierlich, vom Körperbau her hätte man ihn eher für vierzehn gehalten als für zwanzig, doch die schwarzen Bartstoppeln am Kinn verrieten, dass er erwachsen war. Als Koivu ihm erlaubte, den Kopf zu heben, sah ich große braune Augen mit langen Wimpern, die für eine Mascara-Reklame getaugt hätten. In den Augen lag blankes Entsetzen. Samir begriff offensichtlich nicht, wer wir waren.
    «Wir wollen dir nichts tun», sagte ich behutsam, als hätte ich es mit einer scheuen Katze zu tun. «Wir sind von der Espooer Polizei und suchen deine Schwester Sara.»
    Samir liefen Tränen über das Gesicht. Koivu führte ihn zum Sofa, Frau Kämäräinen setzte sich neben ihn und legte ihm den Arm um die Schulter.
    «Keine Angst, Samir, Tante Aune passt auf, dass dir nichts passiert.» Aune Kämäräinen holte ein Stofftaschentuch aus der Tasche ihres Hausmantels und gab es dem Jungen, der es fest umklammerte, aber nicht benutzte. Ich vermutete, dass eine einzelne Polizistin Samir weniger Angst einjagte als zwei große Männer, darum fragte ich die Nachbarin: «Wo ist Saras Zimmer? Meine Kollegen könnten es sich ansehen.» Samir schluchzte immer noch.
    «Sie hat mit ihrer Mutter in dem kleinen Zimmer geschlafen, sie nennen es die Frauenstube. Die Tür da drüben, gegenüber der Küche.»
    Ich brauchte Puupponen

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