Sag mir, wo die Mädchen sind
waren schwarz gekleidet, die muslimischen Mädchen trugen weiße oder schwarze Kopftücher. Iida schloss sich den anderen an, die einen Kreis gebildet hatten und sich an den Händen hielten. In der Mitte des Kreises stand Nelli Vesterinen. Auch sie hatte auf ihre bunte Kleidung verzichtet und trug stattdessen eine schwarze Haremshose und eine lange schwarze, golden bestickte Tunika.
«Noor mochte Gedichte, alte persische, aber auch gereimte finnische. Ich lese euch jetzt einige vor, über die sie sich mit mir unterhalten hat. Danach können wir etwas singen, wenn jemandem ein passendes Lied einfällt.»
Ich sah, dass zwei der Kopftuchmädchen miteinander tuschelten. Die islamischen Fundamentalisten verboten Musik, fiel mir ein, und gleich darauf kamen mir zwei Mitschülerinnen aus der Grundschule in den Sinn, die zur christlichen Sekte der Laestadianer gehörten und im Sportunterricht nicht einmal im Rhythmus der Trommel im Kreis laufen durften. Musikgymnastik war natürlich erst recht ausgeschlossen. Vertraten die Altlaestadianer immer noch dieselben Ansichten, oder hatten sie sich zwangsläufig modernisieren müssen?, fragte ich mich. Als junges Mädchen hatte ich die Frömmler einfach für verrückt gehalten. Später hatte ich mich bemüht, ihre Gedankenwelt zu verstehen, aber eine Glaubensform, die ein Geschlecht dem anderen unterordnete, akzeptierte ich immer noch nicht, ganz gleich, um welche Religion es sich handelte.
Ich fühlte mich wie ein Eindringling im Kreis der Mädchen. Da Heini Korhonen nirgendwo zu sehen war, klopfte ich an die Tür zum Pausenraum der Mitarbeiterinnen.
«Wer ist da?» Das war nicht Heinis Stimme.
«Kommissarin Kallio von der Espooer Polizei.»
Die Tür wurde so stürmisch geöffnet, dass sie mir beinahe ins Gesicht geschlagen wäre. Heini Korhonen saß an dem kleinen Tisch. Die Frau, die mir geöffnet hatte, kannte ich nur von Fotos: Sylvia Sandelin. Sie trug einen schwarzen Hosenanzug und eine weiße Hemdbluse. Die schulterlangen blonden Haare hatte jemand gekämmt, der es sich leisten konnte, mehrere Stunden dafür aufzuwenden. Selbst Ursula hätte Frau Sandelin um ihren Schmuck beneidet, mit dem sie reich behängt war; es hätte nicht viel daran gefehlt, und der Gesamteindruck hätte übertrieben gewirkt. Ihr Make-up hätte aus einem Ratgeber stammen können, der Damen über sechzig zeigt, wie man sich schminken soll, um nicht lächerlich auszusehen.
«Pflegt die Polizei überraschend bei Gedenkfeiern aufzutauchen? Ist das Ihre Taktik?» Sylvia Sandelin gab mir nicht die Hand, winkte mich aber herein und schloss die Tür. Sie setzte sich auf den einzigen freien Stuhl.
«Guten Tag, Heini», sagte ich zu der jungen Frau, die neben der gepuderten und gelackten Sandelin wie ein bleiches Gespenst aussah.
«Sie kennen sich?»
«Meine Tochter ist Stammgast im Mädchenclub. Iida Sarkela.»
Sandelins Augen blitzten auf, sie sah mich genauer an.
«Sie sind also die Schwiegertochter von Marjatta Sarkela? Sie hat mir von Ihnen erzählt.» Nun reichte sie mir die Hand, stand aber nicht auf. «Sylvia Sandelin. Nenn mich einfach Sylvia, das tun die Mädchen hier auch – sofern sie es wagen.» Sie lächelte leicht. «Noor Ezfahani hat mich nicht geduzt, sie hatte Respekt vor älteren Menschen, wie es in ihrer Heimatkultur üblich ist. Von den gebürtigen finnischen Mädchen wiederum wissen die meisten gar nicht, wie man siezt. Marjattas Enkelin weiß es allerdings, das habe ich bemerkt. Heini, vielleicht solltest du nachsehen, ob du bei der Gedenkfeier gebraucht wirst. Dann kann Kommissarin Kallio sich setzen.»
Heini Korhonen erhob sich folgsam, und ich setzte mich auf ihren Stuhl. Innerlich lächelte ich. Ich hätte mir ja denken können, dass die gutsituierten Damen in Tapiola sich kennen. Meine Schwiegermutter war nicht viel älter als Sylvia Sandelin, und ich konnte mir die beiden gut im Theater des Kulturzentrums oder in einem Konzert der Tapiola Sinfonietta vorstellen. Es amüsierte mich, dass ich dank Iidas Siezkunst bei Sylvia Sandelin Gnade fand. Meine Finnischlehrerin an der Polizeischule hatte mir klargemacht, dass man seine Mitmenschen respektvoll anreden sollte; vielleicht war diese Einstellung auch auf Iida übergegangen.
«Du bist vermutlich wegen Noor Ezfahani hier. Möchtest du eine Tasse Tee? Heini hat gerade Wasser heiß gemacht, der weiße Tee muss allerdings eine Weile ziehen. Ich hasse Beuteltee.»
«Dann rate ich von einem Besuch bei der Espooer Polizei
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