Sag mir, wo die Mädchen sind
bot ihr immerhin Schutz vor der Wut ihrer Mitmenschen.
«Noors Leiche bleibt vorläufig bei der Polizei. Sie wird euch übergeben, wenn die kriminaltechnischen Untersuchungen abgeschlossen sind.»
«Wann? Allah erwartet sie. Nicht gut, wenn lange dauert.»
«Unser Gesetz ist in diesem Fall stärker als die Religion. So ist es hier üblich.»
«Inna lillahi wa inna ilayhi raaji’uun»,
sagte Frau Ezfahani klagend. Diesen Satz verstand ich, denn ich hatte ihn auch in Afghanistan mehrmals gehört. «Wahrlich, wir gehören zu Gott, und zu ihm kehren wir heim.» Gelangten Ermordete problemlos in den islamischen Himmel? Auch dann, wenn sie getötet worden waren, weil sie gegen die Gebote ihrer Religion verstoßen hatten?
Ich versuchte, mehr über Noors Leben in Erfahrung zu bringen, doch Frau Ezfahani wurde immer stiller, als hätte sie alles gesagt, was sie der Polizei erzählen wollte, und würde nun nichts mehr preisgeben. Ich brachte sie ins Erdgeschoss; die männlichen Familienmitglieder waren noch nicht zurückgekehrt. Sie setzte sich auf einen der unbequemen Stühle im Wartezimmer und starrte auf ihre Handschuhe. Als ich ins Treppenhaus zurückging, wäre ich beinahe mit Ursula Honkanen zusammengeprallt. Sie grinste mich so breit an, dass ich den Lippenstiftfleck auf ihren Schneidezähnen sah.
«Ruuskanen ist also weich geworden und hat dir erlaubt, die Mutter des toten Mädchens zu befragen. Hast du etwas aus ihr rausgeholt? Ein Wunder, dass die Männer die Befragung überhaupt zugelassen haben. Frauen dürfen bei denen doch nichts wissen und nichts sagen.»
«Ganz so ist es nun auch nicht.»
«
Come on
, Kallio, leg die Scheuklappen ab. Was glaubst du, wie oft ich in irgendwelchen Lokalen erlebt hab, dass diese heiligen Muslime Bier trinken wie die Finnen. Und obwohl sie zu Hause eine Frau und einen Haufen Blagen haben, wären sie durchaus nicht abgeneigt gewesen, mit mir ins Bett zu steigen.»
«Nicht alle praktizieren ihre Religion. Das ist bei den Muslimen nicht anders als bei den Christen.»
«Es ist zum Heulen mit euch toleranten Schwachköpfen! Miina Sillanpää, Helvi Sipilä und all die anderen Frauenrechtlerinnen würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, dass finnische Frauen zum Islam übertreten und freiwillig in die Unterdrückung zurückkehren, aus der die Emanzen uns nach besten Kräften rausgeholt haben. Manche Frauen scheinen den seltsamen Drang zu haben, die Männer herrschen zu lassen. Ich begreif das nicht, verstehst du es, Kallio?»
«Nein. Aber Religionen sind wahrscheinlich auch nicht dazu da, mit dem Verstand begriffen zu werden.»
Unsere Handys piepten gleichzeitig. Eine dienstliche SMS von Ruuskanen. «Der Junge, der Noor Ezfahani laut Aussage der Familie belästigt hat, ist zur Fahndung ausgeschrieben. Tuomas Juhani Soivio, neunzehn Jahre. Die Männer der Familie Ezfahani behaupten übereinstimmend, er habe Noor getötet.»
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7
D ieser Tuomas Soivio war rettungslos verliebt in Noor und hätte sie gern als Freundin gehabt, aber sie hat sich nichts aus ihm gemacht. Bei den Einzelvernehmungen haben alle Ezfahani-Männer diese Geschichte erzählt.»
Wir saßen im großen Besprechungszimmer des Gewaltdezernats. Am Tisch herrschte ein Gedränge wie auf der Pressekonferenz zum Comeback von Janne Ahonen: Außer den Ermittlern des Gewaltdezernats waren auch die Kriminaltechniker und einige Streifenbeamte anwesend, unter ihnen Liisa Rasilainen, für die gerade das letzte Jahr im Polizeidienst begonnen hatte. Ihre Haare waren neuerdings stahlgrau, und sie hatte die Fingernägel in derselben Farbe lackiert.
«Nach Soivio wird gefahndet. Zu Hause war er nicht anzutreffen, aber eventuell ist er noch auf dem Heimweg von der Schule. Er hat gerade das dritte Jahr in der Oberstufe von Olari angefangen, einer von denen, die vier Jahre brauchen, um fertig zu werden.» Ruuskanen versuchte, witzig zu klingen, aber niemand lachte, und Puupponen verzog das Gesicht, als empfinde er einen derart miserablen Versuch als persönliche Beleidigung.
«Ich habe gestern mit Heini Korhonen, der Leiterin des Mädchenclubs, telefoniert, und die hat mir etwas ganz anderes erzählt. Sie behauptet, Noor habe Umgang mit einem finnischen Jungen gehabt und sei deshalb von ihren männlichen Angehörigen unter Druck gesetzt worden», warf ich ein. Meine Worte lösten ein Geraune aus, das Ruuskanen stoppte, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug.
«Willst du behaupten, dass alle
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