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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Nachbarschaft der Ezfahanis die Runde. Hast du schon Feierabend, Maria?»
    «Im Prinzip ja.» Ich erzählte meinen Kolleginnen von der Gedenkveranstaltung im Mädchenclub. «Vielleicht ist es dort leichter, Zugang zu Noors Freundinnen zu gewinnen, als bei einer offiziellen Vernehmung.»
    «Aha! Du pickst dir mal wieder die Rosinen heraus, und ich darf die Dreckarbeit machen», giftete Ursula. «Vielleicht bist du wenigstens so freundlich, mir mitzuteilen, mit wem du da gesprochen hast, damit wir die Arbeit nicht doppelt tun. Das wäre doch pure Zeitverschwendung, oder nicht?» Sie kramte in ihrer Handtasche, nahm einen Flakon heraus und sprühte sich ungeniert Parfüm ins Dekolleté. Liisa und ich traten den Rückzug an, aber der Moschusduft hing noch an mir, als ich nach Hause ging. Der Schneeregen hatte aufgehört, in der grauen Filzdecke am Himmel zeigten sich ein paar blaue Löcher, die sich vielversprechend vergrößerten. Der Bach am Wegrand rauschte so kraftvoll wie im späten Frühjahr. Unsere Katzen saßen auf der Terrasse. Sie liefen zu mir und rieben sich an meinen Beinen, folgten mir aber nicht ins Haus. Die Anwesenheit meines Vaters schüchterte sie ein. Allerdings war Venjamin so liebesbedürftig, dass er meinem Vater im Lauf des Abends sicher auf die Knie springen würde.
    Mein Vater spielte am Küchentisch mit Taneli Karten. Iida saß am anderen Ende des Tischs, machte Hausaufgaben und bemühte sich, den Eindruck zu erwecken, das Kartenspiel ließe sie kalt. Antti war joggen gegangen, hatte aber versprochen, sich anschließend um das Abendessen zu kümmern. Mein Vater sah wieder ein wenig kleiner und weißhaariger aus als bei seinem letzten Besuch, bei dem er verblüfft festgestellt hatte, dass ich ihn auf Siebenzentimeterabsätzen überragte. In meinem engsten Umkreis war er der Einzige gewesen, der auf meinen Entschluss, nach Afghanistan zu reisen, verständnisvoll reagiert hatte.
    «Wenn es dir wichtig ist, musst du es tun. Deine Mutter wird allerdings Schlafmittel brauchen, bis du zurückkommst», hatte er mir am Telefon gesagt. Ich hatte vor dem Abflug absichtlich ihn am Handy angerufen, während ich sonst vorwiegend mit meiner Mutter telefonierte. Als junges Mädchen war ich ein typisches Vaterkind gewesen, burschikos und eigensinnig. Mit meiner Mutter hatte ich mich oft gestritten, vor allem über Kleidungsfragen. Sie hatte meine Punk-Klamotten gehasst und es auch nicht gern gesehen, dass ich ständig in Jungencliquen herumhing. Erst als Erwachsene war mir aufgegangen, dass sie meine Haltung womöglich als Kritik an ihrem femininen Wesen aufgefasst hatte; sie trug nämlich auch zu Hause immer elegante Pumps und Schmuck.
    Taneli jauchzte triumphierend, als er das Kartenspiel gewann, und erst da blickte Iida von ihrem Geschichtsbuch auf. Es war nicht zu übersehen, dass sie geweint hatte, denn ihre Wimperntusche war verlaufen.
    «Habt ihr den … du weißt schon … gekriegt?», fragte sie.
    «Noch nicht, aber wir arbeiten daran.»
    «Ihr habt also die schlimmste Begebenheit zu erforschen?», fragte mein Vater verquast. Er tat es mit Bedacht, um Taneli in die Irre zu führen, doch das gelang ihm nicht.
    «In der Schule haben sie erzählt, dass in Olari ein Mord passiert ist! Ich hab gesagt, den untersucht meine Mutter, die ist nämlich bei der Mordpolizei.»
    «Bei der Kriminalpolizei, du Blödmann!», fauchte Iida ihren Bruder an.
    «Komm, Taneli, zeig mir mal dein neues Lego-Boot», griff mein Vater ein und zog Taneli mit sich aus der Küche. Im selben Moment kam Antti verschwitzt herein und sagte, er werde Couscous mit Huhn kochen, sobald er geduscht habe. Der Familienalltag schien Iida zu beruhigen, doch als wir nach dem Essen im Auto saßen und zum Mädchenclub fuhren, kamen ihr wieder die Tränen.
    «In der Schule haben sie gesagt, Noors Brüder hätten ihren Freund nicht gemocht, weil er andersgläubig ist. Können die wirklich jemanden umbringen, nur weil er den falschen Glauben hat? Gehört das nicht ins Mittelalter?»
    «Du hast also Gerüchte gehört, dass Noors Verwandte die Täter sein könnten?» Es widerstrebte mir, mein eigenes Kind zu vernehmen, und sei es inoffiziell.
    «Alle haben gewusst, was bei denen läuft. Susa, ihrer besten Freundin, hat Noor erzählt, sie kriegt Prügel, wenn sie noch einmal ohne Kopftuch über die Straße geht. Das ist so, als würden Vati oder Taneli mir verbieten, Jeans zu tragen. Total krank!»
     
    Der Mädchenclub war brechend voll. Die meisten

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