Sag mir, wo die Mädchen sind
ab, dort gibt es keinen anderen. Eine Tasse Tee nehme ich gern.»
Frau Sandelin stand auf, holte eine Teekanne aus solidem Porzellan aus dem Schrank und legte einige Teeblüten hinein, die sie mit heißem Wasser übergoss. Dann stellte sie zwei zur Kanne passende Tassen und ein Honigglas auf den Tisch und legte zwei Silberlöffel dazu. Bei meinem letzten Besuch hatte ich Beuteltee bekommen; Heini Korhonen schien die Teeleidenschaft ihrer Chefin nicht zu teilen.
«Du hast recht, ich bin wegen Noor Ezfahani hier. Wir haben widersprüchliche Informationen über ihre Beziehungen zum anderen Geschlecht. Was wisst ihr im Club darüber?»
Frau Sandelin rieb ihren silbernen Löffel. «Ich bin über die Angelegenheiten meiner Mädchen nicht besonders gut informiert. Deine Tochter kenne ich beim Namen, und ich habe mich auch mit ihr unterhalten, weil sie die Enkelin meiner Freundin ist. Einige Mädchen kenne ich nur vom Sehen, obwohl ich natürlich alle fördern und unterstützen möchte. Aber Noor Ezfahani ist mir aufgefallen, weil sie eine außergewöhnlich intelligente junge Frau war. Sie war fähig, alles zu hinterfragen, sowohl die Religion, die sie von zu Hause mitbekommen hat, als auch unsere westliche Konsumgesellschaft. Sie wollte Ärztin werden, wie ihr finnischer Freund, Tuomas Soivio. Auch dessen Eltern und Großeltern kenne ich. Seine Familie war ein wenig enttäuscht, weil er nicht auf das Gymnasium in Tapiola gegangen ist, wo seine Eltern Abitur gemacht haben, aber in Olari kann man sich auf Naturwissenschaften spezialisieren, und das ist eine gute Basis für das Medizinstudium. Vor einem Jahr hat sich die Familie Sorgen gemacht, weil Tuomas in schlechte Gesellschaft geraten war, aber dann hat er zum Glück Noor kennengelernt und seine Meinung geändert.»
«Seine Meinung worüber?»
«Über Migranten. Stell dir nur vor, der intelligente Junge hat sich diesen ungebildeten Schreihälsen angeschlossen, die gegen jegliche Einwanderung sind, unabhängig vom Hintergrund der Menschen. Ich meine diese Rassisten.» Beim letzten Wort rümpfte sie die Nase. Sie goss uns Tee ein. Die Blüten hatten sich geöffnet und fielen dekorativ in die Tassen. Frau Sandelin löffelte Honig in ihren Tee, bevor sie fortfuhr:
«Manchmal frage ich mich, ob es überhaupt sinnvoll ist, die allerdümmsten Jungen auszubilden. Sie können kaum lesen, aber sie verwirklichen sich selbst, indem sie die Chatrooms schriftlich vollkotzen. Besuchst du oft Chatrooms, Kommissarin?»
«Nein. Allerdings wird ja behauptet, sie förderten die Redefreiheit.»
«Die Redefreiheit ist eine gute Sache, für die natürlich jeder eintritt. Aber ich bin nicht dafür, den Gemeinsten und Dümmsten das Recht zu geben, ihre geistige Schlacke öffentlich zu präsentieren. Du hast recht, es lohnt sich nicht, diese Schmutzblogs zu lesen, in öffentlichen Chatforen ist eine intelligente Diskussion vollkommen unmöglich. Ich schäme mich nicht, laut zu sagen, dass ich intelligenter bin als fünfundneunzig Prozent meiner Mitmenschen. Das liegt nicht an meiner Rasse oder meinem Geschlecht, sondern daran, dass ich eben ich bin. Dank meines Verstandes habe ich ein Vermögen erworben, und nun ist es geradezu meine Pflicht, anderen zu helfen. Leider entscheiden die Politiker, wofür meine Steuergelder verwendet werden. Obwohl ich intelligenter bin als neunzig Prozent von ihnen.»
Sylvia Sandelin trank einen Schluck Tee. Ich konnte mir einen Kommentar nicht verkneifen.
«Deiner Ansicht nach sitzen im Parlament also immerhin zwanzig intelligente Abgeordnete? Und in der Regierung zwei kluge Minister?»
Sandelin lächelte anerkennend. «Du bist offenbar eine Polizistin, die lesen, schreiben und obendrein noch rechnen kann. Nun ja, nicht alle Politiker sind dumm und nur auf den eigenen Vorteil bedacht, wie einfache Gemüter gern denken. Einige sind allerdings hoffnungslose Fälle, aber glücklicherweise erlangen die weniger Intelligenten in der Regel nicht so viel Macht, dass sie größeren Schaden anrichten könnten. In der Regierung sitzen mehr als zwei kluge Minister, das muss ich zugeben. Über Politiker zu spotten, ist eine billige Volksbelustigung, und wahrscheinlich ist es nur gut, dass der dümmste Teil der Bevölkerung nicht zur Wahl geht. Sonst wäre das Ergebnis erschreckend, wie man ja gelegentlich gesehen hat.»
Aus dem großen Saal war Gesang zu hören. Noor Ezfahani war sicher nicht zum lutheranischen Konfirmandenunterricht gegangen, aber das Lied, das ihr
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