Sag niemals nie
deine Bewerbung per Mail, und ich ruf dich zurück, sobald ich sie
gelesen habe«, meldete sich Vanessa gelangweilt.
»Hey, ich bin's«, sagte Dan
fröhlich. »Wie geht's dir?«
Vanessa antwortete nicht
sofort. Sie wollte Dan ja gern den Freiraum lassen, den er brauchte, um zum
nächsten Kurt Cobain, John Keats oder wer auch immer er sein wollte zu
erblühen, aber es war ihr nicht leicht gefallen, mit ihm Schluss zu machen und
ihn aus der Wohnung zu werfen. Sein beiläufiger Wir-sind-doch-beste-Freunde-
Tonfall ließ ihr Herz zusammenschrumpeln wie einen Ballon, aus dem die Luft
entweicht.
Ȁh, ich bin gerade ziemlich
beschäftigt.« Sie hackte ein paar Zeilen Buchstabensalat in die Tastatur, um zu
demonstrieren, wie massiv beschäftigt sie war. »Ich hab hier einen
ganzen Haufen Bewerbungen, die ich mir noch anschauen muss - ich will doch
Rubys Zimmer vermieten, du weißt schon.«
»Ach echt?« Dan hatte nicht
gewusst, dass Vanessa einen Mitbewohner suchte. Andererseits war es bestimmt
ziemlich einsam und langweilig in der Wohnung, seit ihre Schwester Ruby mit
ihrer Band auf Tour war und vor allem seit er nicht mehr da war, um ihr
Gesellschaft zu leisten.
Einen flüchtigen Moment lang
wurde Dan so sehr von Reue erfüllt, dass ihn das Bedürfnis überkam, nach einem
Stift zu greifen und ein tragisches Trennungsgedicht zu schreiben, in dem
Begriffe wie abgeschnitten oder kahl rasiert vorkamen, aber dann erinnerte ihn das prickelnde
Brennen in seinem frisch geschorenen Nacken an den eigentlichen Grund seines
Anrufs.
»Ich hab nur schnell eine
Frage.« Er zog ein paarmal hastig an seiner Zigarette und ließ sie dann achtlos
in eine Vase mit Margeriten fallen, die auf Jennys Schreibtisch vor sich hin
welkten. »Wenn man sich eine Glatze rasiert - muss man da irgendeine besondere
Schermaschine benutzen oder so? Gibt es eine spezielle Klinge?«
Im ersten Moment war Vanessa
versucht, ihn zu warnen, weil sie wusste, dass er mit rasiertem Kopf wie ein
dürrer siebenjähriger Leukämiekranker aussehen würde, der gerade seine Chemo
hinter sich hatte. Aber sie hatte keine Lust mehr, ihn vor sich selbst zu
beschützen, erst recht nicht, wo sie jetzt nur noch »gute Freunde« waren.
»Falls du einen Haarschneider von Wahl hast, musst du
ihn auf zehn stellen. Du, ich muss hier echt weitermachen, ja?«
Dan griff nach dem
Bartschneider. Er war von CVS, und es gab keine Möglichkeit, irgendetwas
einzustellen. Er legte ihn wieder weg. Vielleicht wäre es klüger, zum Frisör
zu gehen. »Okay, dann sehen wir uns morgen auf dem Konzert?«
»Ja, vielleicht«, antwortete
Vanessa desinteressiert. »Wenn sich bis dahin was in Sachen Mitbewohner ergeben
hat. Jetzt muss ich aber echt. Tschüss.«
Dan legte auf, griff nach dem
Bartschneider und hielt ihn sich wie ein Mikro vor den Mund. »Schlag mich auf
wie ein Ei«, rief
er hinein. Er zog sein T-Shirt aus, wölbte seinen bleichen, nicht vorhandenen
Bauch vor und versuchte, sexy gelangweilt und rebellisch auszusehen wie ein
kleinerer, dünnerer und weniger abgefuckter Jim Morrison. »Schlag mich auf wie
ein Eil«, winselte er und fiel auf die Knie.
Plötzlich stand sein Vater
Rufus in der Tür. Er hatte ein mit Brandlöchern übersätes graues
Old-Navy-Sweatshirt an und das Stirnband aus rosa Frottee, mit dem Jenny ihre
Locken bändigte, wenn sie sich das Gesicht wusch. »Nur gut, dass deine
Schwester heutzutage zu beschäftigt ist, um nach der Schule nach Hause zu
kommen. Sie wäre wahrscheinlich nicht begeistert, wenn sie sehen würde, dass
du in ihrem Zimmer einen Strip hinlegst.«
»Ich probe.« Dan stand so
würdevoll auf, wie es ihm möglich war. »Was dagegen?«
»Mach nur weiter.« Rufus blieb
im Türrahmen stehen, kratzte sich die Brust und langte nach der Camel ohne
Filter, die hinter seinem linken Ohr klemmte. Dans Vater war allein erziehend
und arbeitete von zu Hause aus als Verleger eher unerfolgreicher Beat-Poeten
und Esoterik- schriftsteiler, von denen niemand je gehört hatte. »Aber ich
glaube, es würde besser klingen, wenn du jedes zweite Wort betonst.«
Dan legte den Kopf schräg und
reichte Rufus den Bartschneider. »Zeig's mir.«
Rufus grinste. »Okay, aber ich
lass mein T-Shirt dabei an.«
Das wollen wir doch schwer
hoffen.
Er hielt den Bartschneider mit
einigem Abstand vors Gesicht, als hätte er Angst, er könnte sich von selbst einschalten
und ihm den berühmten ungepflegten Bart abrasieren. »Schlag mich auf wie ein Eil«, röhrte er, und seine
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