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Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition)

Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition)

Titel: Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg F. Gifune
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hatte Boone recht. Aber was er nicht wissen konnte, war, dass die Visionen weitergingen, während er mich anschrie, Visionen, die immer präsent gewesen waren, die zu sehen ich mir aber nie gestattet hatte. Onkel, wie er die Leiche mit einer Hand hinunterdrückte, während er die Säge in der anderen hielt, das Gesicht mit Blut und verirrten Fleischfetzen bespritzt, während die Zähne der Säge sich tief durch das Fleisch fraßen und schließlich auf Knochen stießen. Ich selbst, wie ich neben der Leiche stand, nach ihr trat, nach dem trat, was einmal Michael Rings Kopf gewesen war, wieder und wieder, bis nur noch ein blutiger Brei übrig blieb. Wie Onkel später die zerstückelten Überreste eines menschlichen Wesens in großen Plastikmüllsäcken – die Sorte, die ich unzählige Male benutzt hatte, um sie nach dem Rechen mit Laub zu füllen – zum Kofferraum seines Autos schleppte, in den er sie warf, wie den Müll, zu dem sie geworden waren.
    In meinen Visionen bin ich dort, statt nur aus Onkels Mund zu hören, was passiert ist, während wir beide in seiner schäbigen kleinen Wohnung stehen wie Schaufensterpuppen, samt unseren Geheimnissen und Lügen in einem dunklen Winkel verstaut.
    In meiner Vision kann ich mit Michael Ring tun, wovon ich so lange geträumt habe – ihn bis über den Tod hinaus schänden, ihn treten und auf ihn einschlagen, während Onkel seine Leiche zerstückelt wie den Kadaver eines frisch geschlachteten Nutztiers, um ihn zu entsorgen … wie Männer wie Onkel eben Leichen loswerden. Anders als im wirklichen Leben, in dem mir Onkel geschildert hatte, was an dem Tag, an dem Angela und ich in unserem Garten Schach gespielt hatten, wirklich in diesem Wald geschehen war, und es mir überlassen hatte, zu entscheiden, womit ich leben konnte und womit nicht.
    Jetzt hatte auch Boone die Wahrheit gehört, diesmal aus meinem Mund, und ich konnte nur hoffen, dass sie auch ihn endlich von all dem befreien würde.
    Aber hier, in Schnee und Kälte, als die dunklen Vorhänge endlich gelüftet waren, blieb an diesem schrecklichen Ort nichts anderes zurück als die Geister von Onkel und Michael Ring. Und ebenso, wie ich niemals zu dem Weg im Wald würde gehen können, an dem Angela vergewaltigt worden war, ebenso, wie ich dem nie gegenübertreten konnte, weil ich nicht das Recht dazu hatte, weil es ihre Aufgabe war, die Macht der Ereignisse auszutreiben, und nicht meine, gehörte ich auch nicht länger in diesen Wald. Vielleicht hatte ich das nie.
    Ich war nicht hier gestorben. Die anderen schon.
    Boone stand beim Auto; er lehnte an der Beifahrertür, die Hände in die Jackentaschen gestopft. »Es tut mir leid«, sagte er ruhig. »Ich hab den Scheiß, den ich vorher geredet habe, nicht so gemeint.«
    »Doch, hast du, aber das ist okay.«
    »Onkel war ein Held für mich.«
    »Meinst du, für mich war er das nicht?«
    »Ja, nun, für mich wird er das auch immer bleiben.«
    Ihm zu sagen, dass das Gleiche in vieler Hinsicht auch für mich galt, schien sinnlos. Boone sah es einfach schwarz-weiß und ich nicht. Vielleicht kam es nur darauf an, wie man über den Tag kam, nachts schlafen und sich selbst im Spiegel ansehen konnte, ohne aus den Augen zu verlieren, wer man war oder zu sein hoffte. Vielleicht waren das Dinge, die so persönlich waren, dass sie nie mitgeteilt oder vom anderen verstanden werden konnten, selbst unter alten Freunden nicht. Vielleicht musste es so sein.
    »Es interessiert mich nicht, was er an diesem Tag getan hat«, stieß Boone trotzig hervor. »Er hat getan, was er tun musste.«
    »Auf seine eigene Weise hat er versucht, uns alle zu schützen«, stimmte ich zu. »Aber das hat alles nur noch schlimmer gemacht. Es hat es nur noch schwerer gemacht.«
    »Ich kann immer noch nicht glauben, dass er tot ist.«
    Ich erinnerte mich an Onkels leblose, blicklose Augen; seinen gebrochenen Schädel, der von einem Handtuch verdeckt war.
    »Glaubst du, sie fassen den Kerl, der ihn ermordet hat?«
    »Das weiß ich nicht. Das ist Sache der Polizei, Boone.«
    Wir schwiegen einen Moment.
    »Selbst nachdem du weg warst«, sagte Boone schließlich, »war er immer noch da. Redete immer mit mir, wenn er mich in der Stadt traf. Es hat ihn immer noch interessiert.« Boones Wangen waren von der Kälte glutrot angelaufen, seine Augen feucht. »Ich habe immer gedacht, das gilt auch für dich. Ich dachte, du kämst zurück und wir würden das alles gemeinsam durchstehen, wie als Kinder. Ich dachte immer, früher

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