Sagen aus dem Rheinland
einem Trupp seiner Knechte stromabwärts und suchte Schutz in der Burg Ehrenfels. Doch die Plagegeister wimmelten auch hier durch das ganze Schloß, ihn mit scharfen, quälenden Bissen verfolgend.
Nun erwachte Hattos Gewissen, er fühlte seine Sünde und flehte zum Himmel um Hilfe. Aber die gerechte Strafe, die ihn treffen sollte, war noch nicht vollendet. Er floh daraufhin auf einem Kahn zu dem einsamen Turm, der sich auf der kleinen Rheininsel erhob, und – ließ dort sein Bett an Ketten aufhängen. Aber die Mäuse schwammen durch die Flut, kamen ihm nach, schlüpften durch alle Gitter und Löcher und nagten mit scharfem Biß so lange an seinem Leib, bis der geistliche Würdenträger den Geist aufgab. Ja, selbst sein Name, der in die Tapeten des Gemachs gewirkt war, wurde von den Tieren zernagt.
Kaum war dies geschehen, so zerstreute sich das ganze Heer der Mäuse und wurde nicht mehr gesehen. Der Ort aber, wo der Bischof seinen gerechten Lohn gefunden, heißt von jener Zeit an der »Mäuseturm«. Noch oft soll bei Nacht, wenn der Sturm braust und die Woge grollt, sein Geist gleich einer grauen Wolke das uralte Gemäuer umschweben; somit hat der Bischof wegen seiner schweren Schuld noch immer nicht die ewige Ruhe gefunden.
Der Meister über alle Meister
In jener glücklichen Zeit, als unser Herr noch unter den Menschen wandelte, kam er eines Tages in Begleitung des heiligen Petrus durch eine Stadt. In der Hauptstraße trafen sie von ungefähr auf die Werkstätte eines Schmiedes, der der Welt seine Kunst und Geschicklichkeit durch die prahlerischen Worte auf einem Schilde über der Türe verkündigte: »Hier wohnt ein Meister über alle Meister.«
Da sprach unser Herr zu Petrus: »Wollen doch einmal eben vorsprechen und diesen eingebildeten Prahler von seinem Dünkel und seiner Anmaßung gründlich kurieren.« – Traten also in die rußige Schmiede und fragten den Meister, den sie eben antrafen, bescheiden um Arbeit, vorgebend, daß sie wandernde Zunftgenossen seien und sich nach Arbeit umsähen.
Der Meister war hocherfreut und grüßte herzlich die willkommene Hilfe, die ihm in Gestalt so schmucker Gesellen wie vom Himmel gesandt erschien. Er beauftragte unsern Herrn auch sogleich mit dem Beschlagen eines Pferdes, und Petrus sollte ihm helfend zur Hand gehen.
Unser Herr nimmt alsbald ein großes Messer und schneidet, während die Zuschauer vor Grausen sprachlos stehen, dem Pferde einen Fuß nach dem andern ab, spannt sie zwischen den Schraubstock, schneidet sie nach allen Regeln der Kunst zurecht und schlägt in aller Gemütsruhe die neuen Eisen auf die Hufe. Nachdem dies geschehen, setzt er jeden der Füße wieder an das zugehörige Pferdebein, als wär's eben nur ein Kinderspiel. Doch siehe da! alle Füße sind alsbald heil und gesund und so richtig beschlagen wie nie zuvor.
Grenzenlos ist das Erstaunen des früher so eingebildeten Meisters; voll Reue wirft er sich dem Herrn zu Füßen und gelobt von der Stunde an, sich zur Demut zu bekehren und das Schild mit der lügnerischen Inschrift zu verbrennen. Der aber, durch den er so handgreiflich von dem Dasein eines Meisters über ihm belehrt worden, setzte noch in derselben Stunde, von St. Petrus begleitet, seinen Wanderstab weiter, um auch andere Leute mit seiner frohen Botschaft zu beglücken.
Der Mönch zu Heisterbach
Im ehrwürdigen Kloster Heisterbach lebte einmal ein junger Mönch, der in der heiligen Schrift und in den frommen Büchern der Väter die Gottesgelehrtheit eifrig studierte. Mit heißem Bemühen und rastlosem Fleiß suchte er einzudringen in die ewigen Dinge, die dem Menschenverstande verborgen sind. Und er las: »Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag.« Lange grübelte er über den Sinn dieser Worte nach; bange Zweifel quälten seine Seele, während er sinnend im Klostergarten auf und ab ging.
Da hörte er der Vöglein liebliches Singen im nahen Walde. Er folgte den süßen Tönen und ließ sich endlich auf das weiche Moos nieder. Langsam schlossen sich seine müden Augen zum Schlafe.
Als er erwachte, leuchtete das Abendrot durch die Zweige; vom nahen Kloster tönte das Vesperglöcklein herüber. Um das gemeinsame Mönchsgebet nicht zu versäumen, schritt er frisch dahin. Doch alles kam ihm gar seltsam vor. Den Bruder an der Klosterpforte erkannte er nicht. An seinem Platze im Chor kniete ein fremder Mönch. Der Abt fragte ihn nach seinem Namen, und als er ihn bekommen nannte, da hatte keiner der Brüder ihn je gehört. Ein Mönch
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