Sagen aus dem Rheinland
aufgeschichtet. Manchmal spielte er mit schweren Felskugeln Ball oder warf sie vom hohen Berg ins Tal; das tat er besonders gern, wenn Leute dort arbeiteten; die mußten dann jedesmal schleunigst das Weite suchen. Fast täglich jagte der Unhold in den Wäldern; alles Wild, das ihm in den Wurf kam, erlegte er, und wenn ihm dabei ein Mensch begegnete, so mußte der Unglückliche mit ihm jagen, da half kein Bitten und Sträuben. Dann ging's vom Morgen bis zum Abend über Stock und Stein. Waren die armen Leute abends todmüde, so brüllte er sie fürchterlich an, stieß die gräßlichsten Drohungen aus und jagte die Ärmsten, die vor Angst schon mehr tot als lebendig waren, schließlich unter wüsten Flüchen davon. Daher mied jedermann ängstlich den Schockwald, um nur dem Riesen nicht zu begegnen.
Nur ein Mann fürchtete den gewalttätigen Unhold nicht; das war ein frommer Einsiedler, der am Südende des Waldes seine Behausung hatte. Der Klausner hatte dreizehn Steinchen, die wunderbar glänzten; wenn man eins davon dem Riesen vor die Augen hielt, wurde er geblendet und konnte einem nichts tun. Wer über den Schock zur Mosel ging, lieh sich bei dem Einsiedler eines von seinen Steinchen aus.
Einmal kamen zwölf Männer, denen gab der gottesfürchtige Mann je eins von den Steinchen mit. Nach einer Weile fand sich aber noch ein Junge ein und bat wieder um eins. Da wollte ihm der Einsiedler sein letztes Steinchen zuerst nicht geben; als aber der Junge bitterlich zu weinen anfing, hatte der Alte Mitleid und überließ es ihm.
Der Junge kam zur Höhle des wilden Mannes. Da trat der Riese plötzlich heraus, brüllte den Knaben an und wollte ihn auf die Jagd mitnehmen. Der arme Kerl erschrak so heftig, daß er das Steinchen fallen ließ; er konnte es nicht wieder finden, sosehr er sich auch mühte. Aber der Riese wurde auf einmal ganz still, machte sich rasch in seine Höhle davon und ließ den Jungen ungehindert weitergehen.
Als die zwölf Männer gegen Abend zurückkehrten, war von dem Riesen nichts mehr zu sehen. Während sie noch ganz verwundert mit dem Einsiedler darüber sprachen, kam auch der Junge dahergelaufen und erzählte schluchzend, wie es ihm mit dem Steinchen ergangen war. Da erkannten alle, daß der Riese durch das Steinchen in seine Höhle gebannt war. Alle Leute in der Gegend dankten Gott, daß sie von der Plage befreit waren, und erbauten mit dem Einsiedler bei der Klause ein Gotteshaus.
Später entstand dort ein Hof, der bis auf den heutigen Tag »Gotteshausen« heißt. Auch an der anderen Seite des Schocks wurde ein Bauerngehöft angelegt und nach den Hünen der »Hohnhäuser-Hof« genannt. Das Steinchen liegt immer noch im Schock vor der Riesenhöhle.
Wenn dies Wundersteinchen jemand finden und wegnehmen sollte, erscheint der Riese wieder, und es fängt die alte Plage von neuem an.
Der Ring im See bei Aachen
Petrarcha, auf seiner Reise durch Deutschland, hörte von den Priestern zu Aachen eine Geschichte erzählen, die sie für wahrhaft ausgaben, und die sich von Mund zu Munde fortgepflanzt haben sollte. Vor Zeiten verliebte sich Karl der Große in eine gemeine Frau so heftig, daß er alle seine Taten vergaß, seine Geschäfte liegen ließ, und selbst seinen eigenen Leib darüber vernachlässigte. Sein ganzer Hof war verlegen und mißmutig über diese Leidenschaft, die gar nicht nachließ; endlich verfiel die geliebte Frau in eine Krankheit und starb. Vergeblich hoffte man aber, daß der Kaiser nunmehr seine Liebe aufgeben würde: sondern er saß bei dem Leichnam, küßte und umarmte ihn, und redete zu ihm, als ob er noch lebendig wäre. Die Tote hub an zu riechen und in Fäulnis überzugehen; nichtsdestoweniger ließ der Kaiser nicht von ihr ab. Da ahnte Turpin der Erzbischof, es müsse darunter eine Zauberei walten; daher, als Karl eines Tages das Zimmer verlassen hatte, befühlte er den Leib der toten Frau allerseits, ob er nichts entdecken könnte; endlich fand er im Munde unter der Zunge einen Ring, den nahm er weg. Als nun der Kaiser in das Zimmer wiederkehrte, tat er erstaunt, wie ein Aufwachender aus tiefem Schlafe, und fragte »Wer hat diesen stinkenden Leichnam hereingetragen?« und befahl zur Stunde, daß man ihn bestatten solle. Dies geschah, allein nunmehr wandte sich die Zuneigung des Kaisers auf den Erzbischof, dem er allenthalben folgte, wohin er ging. Als der weise, fromme Mann dieses merkte und die Kraft des Ringes erkannte, fürchtete er, daß er einmal in unrechte Hände fiele,
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