Sagen aus Oberösterreich
Drachenloch zu unternehmen. Er hoffte, im Falle des glücklichen Gelingens die Hand der Geliebten zu erringen.
Nachdem er eine lange Leine um einen Baum geschlungen und das andere Ende an seinem Gürtel befestigt hatte, trieb er, mit einem langen Spieß bewaffnet, den Ochsen vor sich her zur Höhle. Mit Bangen blickten ihm die Dorfbewohner nach und harrten auf den Ausgang des gefährlichen Wagnisses. Als der Ochse in die Nähe des Drachenloches gekommen war, witterte der hungrige Lindwurm seine Beute und kam aus der Höhle heraus.
Noch ehe der Ochse sich umwenden konnte, hatte er ihn mit seinen Krallen gepackt und zog ihn in seine Behausung hinein. Der Jüngling hatte zwar seinen Speer gegen das Ungetüm abgeschleudert, aber wirkungslos prallte das Geschoß von dem dichten Schuppenpanzer des Tieres ab.
Während aus der Höhle das Krachen der Knochen und das würgende Schlingen des Lindwurms zu hören war, verspürte der Jüngling, wie ihm allmählich die Besinnung schwand. Ein Hauch des verpesteten Atems war von dem Tier zu ihm gedrungen und drohte ihn zu betäuben. Rasch suchte er sich an der Leine nach rückwärts zu ziehen, jedoch schon nach wenigen Schritten brach er bewußtlos zusammen. Aber die Dorfbewohner, die am Ende der Leine standen, hatten den Vorfall bemerkt und zogen ihn, allen voran die Tochter des Schulzen, an der Leine aus dem vergifteten Bereich auf sicheren Boden zurück.
Von der Höhle herab vernahm man das Schlürfen und Schmatzen des Drachen, der aus einer Lache seinen Durst stillte. Dann erscholl ein Heulen und Brüllen, ein Schlagen und Toben; der Kalk tat seine Dienste. Als nach einiger Zeit Ruhe eintrat, wußte man, daß der Lindwurm verendet war. Aber die Gefahr war damit noch nicht vorüber. Das Wasser, das aus der Höhle floß, führte Unrat von dem verwesenden Drachen mit und brachte die Pest unter die Leute.
Erst als die Seuche erloschen war, kehrte Ruhe und Frieden wieder ins Land. Der junge Bursche der den Weg zur Drachenhöhle getan, erholte sich bald wieder; er war noch rechtzeitig dem tödlichen Wirken des Pesthauches entgangen. Er erhielt die Tochter des Schulzen zum Lohn für seine mutige Tat.
Der Krippenstein am Hallstättersee
Blumige Matten und saftige Almwiesen zogen sich einst auf dem Krippenstein hin. Sie waren Eigentum des unermeßlich reichen Riesen Krippen, der dort oben seine Heimstätte hatte. Der Riese war in zärtlicher Liebe seinem einzigen Kind, einer wunderschönen Tochter, zugetan, und es gab keinen Wunsch, den er ihr nicht erfüllt hätte, sofern es in seiner Macht lag. Einen Wunsch vermochte er ihr allerding nicht zu erfüllen: das Mädchen war blind, und das Augenlicht konnte er ihm nicht verschaffen. Kein Freier erschien, um sie heimzuführen, und den bekümmerten Vater erfüllte tiefe Besorgnis um das Los seines Kindes, wenn er einst nicht mehr wäre.
In seiner Not wandte er sich an den Berggeist um Rat und Hilfe. Diesen erbarmte der Jammer des Riesen, und er erschine ihm als Greis in wallendem Silberhaar, das bis zum Saum des Mantels reichte, gab ihm eine graue Rolle und sagte: »Geh mit deiner Tochter in der dritten Vollmondnacht auf jene breite Matte dort und lege dir die Rolle um die Schultern; sie wird zum Mantel werden und dich umhüllen. Dann nimm deine Tochter auf den Mantel und warte! Wenn der Mond mitten über dem Berg steht, wird sie sehen. Doch hüte dich, während dieser Nacht ein böses Wort zu sprechen oder auch nur einen schlimmen Gedanken zu heben, sonst wehe allen, die sich im Bereich des Tuches befinden!« Der Riese dankte dem wohlmeinenden Berggeist für seinen freundlichen Rat und die wundersame Gabe und bar die wertvolle Rolle in seinem Mantel.
In der festgesetzten Vollmondnacht begab ers ich mit seiner Tochter auf den angewiesenen Platz und tat, wie ihm der Berggeist geraten hatte. Die Rolle wurde zum weiten, weichen Mantel, in dessen Falten Edelsteine glitzerten. Krippen zog seine Tochter an sich und wartete ruhig, bis der Mond über dem Gipfel des Berges stehen würde. Da sah er im bläulichen Schimmer des Mondlichts eine kleine Gestalt heranschleichen. Es war der Ritter Däumling, den der Geiz antrieb, um das blinde reiche Mädchen zu freien. Als er in die Nähe des Riesen gekommen war, sah er die flimmernden Edelsteine im Mantel und griff gierig danach. Zornentbrannt stieß Krippen einen Fluch aus und wollte sich nach einem Stein bücken, um ihn nach dem frechen Gesellen zu schleudern.
Da erhob sich Donnern und Tosen, der
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