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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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versprach der Gefangenen seinen Schutz und dem Knaben, als zweiter Vater für ihn zu sorgen, wenngleich er selbst, den Zorn seines Vaters Telamon fürchtend, sie beide nicht nach Salamis begleiten könne.
    Darauf schickte er sich an, den Leichnam seines geliebten Halbbruders zu bestatten. Aber hier trat ihm der Atride Menelaos wehrend in den Weg: »Untersteh dich nicht, diesen Mann zu bestatten«, sprach er,
    »den wir schlimmer befunden haben als unsere Feinde, die Trojaner. Um seines bösen Mordanschlags willen verdient er kein ehrliches Grab.« Während Menelaos so mit Teucer um den Leichnam des Ajax haderte, kam auch Agamemnon herbei, trat auf die Seite seines Bruders und schalt in der Hitze des Streites den Teucer einen Sklavensohn. Umsonst erinnerte sie dieser an alle Wohltaten, welche die Griechen dem gefallenen Helden zu danken hätten, an seine Rettung des Heeres, als die Flamme der Trojaner schon um die Schiffe der Danaer emporschlug und Hektor über den Graben in die Schiffsverdecke herniedersprang. »Und was scheltet ihr mich einen Sklaven?« rief er, »ist doch mein Vater Telamon der herrliche Griechenheld, meine Mutter Laomedons königliche Tochter! Soll ich, edel von den Edelsten abstammend, mich meiner Blutgenossenschaft schämen? Wisset, daß ihr mit dem gefallenen Helden auch sein geliebtes Weib hier und seinen Sohn und mich, seinen Bruder, aus dem Lager hinauswerfet. Bedenkt ihr auch, welchen Ruhm bei den Menschen und welchen Segen von den Göttern euch dieses bringen wird?«
    So haderten sie, als Odysseus, der kluge Held, mitten unter sie eintrat und, gegen Agamemnon gewendet, hastig fragte: »Darf euch ein treuer Freund die Wahrheit sagen, ohne übel darum angesehen zu werden?« »So rede doch«, erwiderte Agamemnon, indem er ihn mit Verwunderung anblickte; »wohl halte ich dich für meinen besten Freund im ganzen Argiverheere!« »Nun, so höre mich auch«, sprach Odysseus.
    »Wirf bei den Göttern diesen Mann nicht ohne Erbarmen und ohne Bestattung hinaus! Laß dich durch deine Macht nicht zum ungerechten Hasse verleiten! Bedenke, wenn du einen solchen Helden schändetest, so würde nicht er dadurch herabgewürdiget, sondern das Recht und der Wille der Götter würden verachtet.«
    Als die Atriden solches hörten, blieben sie lange vor Staunen sprachlos. Endlich rief Agamemnon: »Und du, Odysseus, vermagst es über dich, zugunsten dieses Mannes mich zu bekriegen? Bedenkst du denn gar nicht, daß es dein Todfeind ist, dem du eine so hohe Gunst verschaffen willst?« »Wohl war er mein Feind«, antwortete Odysseus, »und ich haßte ihn, solange der Haß noch ziemlich war. Jetzt, da er gefallen ist und wir über den Verlust eines so edlen Helden trauern müssen, kann und darf ich ihn nicht mehr anfeinden. Ich selbst bin bereit, ihn zu bestatten und seinem Bruder bei dieser heiligen Pflicht an die Hand zu gehen.«
    Als Teucer, der bei Odysseus' Ankunft mit Abscheu auf die Seite getreten war, solches hörte, trat er auf den Helden zu, seinen Arm zum Handschlag ausgestreckt:
    »Edler Mann«, rief er, »du, sein größter Feind, bist die einzige Stütze des Toten! Dennoch wag ich es nicht, dich zur Berührung dieses Leichnams zuzulassen, dessen unversöhnt dahingeschiedenem Geiste solches unwillkommen sein dürfte. In allem andern sei mein Helfer; gibt es doch für deinen Edelmut noch genug zu tun!« Mit diesen Worten deutete Teucer auf Tekmessa, die noch immer sprachlos dasaß. Odysseus kehrte sich ihr wohlwollenden Sinnes zu: »Niemals, o Weib«, sprach er zu ihr, »soll ein anderer dich als Sklavin schauen. Solange Teucer und ich leben, sollst du mit deinem Kinde gepflegt und geborgen sein, als 231
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    stände euch Ajax selbst noch zur Seite, er, die Schutzwehr der Achajer.«
    Die Atriden schämten sich, gegen die edlen Vorstellungen des Odysseus Einwendungen zu machen. Der riesige Leib wurde mit vereinter Heldenkraft vom Boden gehoben und nach den Schiffen getragen, dort von dem Blute gereinigt, das ihn zugleich mit der Rüstung und dem Staube umgab, und endlich auf einem nicht minder stattlichen Scheiterhaufen verbrannt als Achill selbst, der in seinem Tode noch die Ursache eines zweiten, unersetzlichen Verlustes für die Griechen geworden war.
    MACHAON UND PODALEIRIOS
    Am andern Tage strömten die Danaer in die Volksversammlung, welche der Völkerhirt Menelaos berufen hatte. Als alle beisammen waren, stand er selbst auf und hub also an zu reden:

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