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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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fallen sehen, rief die Griechen auf, um ihre Leichname zu kämpfen. Zuletzt aber erlagen sie den Trojanern. Nachdem der Lokrer Ajax von Äneas mit einem Steine hart verwundet und 232
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    zu Boden gestreckt war, mußten die Achajer den schwach atmenden Helden aus der Schlacht tragen und zogen sich alle nach den Schiffen zurück; die Trojaner richteten unter den Fliehenden eine große Niederlage an, ja sie hätten die Schiffe selbst durchs Feuer vernichtet, wenn die Nacht nicht dazwischengekommen wäre. So aber zog sich der siegreiche Mysier mit den Seinigen vor dem einbrechenden Dunkel zurück zu den Mündungen des Simois, wo er freudig sein Nachtlager aufschlug. Die Danaer dagegen, auf dem sandigen Ufer bei ihren Schiffen gelagert, seufzten die ganze Nacht durch vor Schmerz und beklagten das Los der unzähligen Brüder, die sie im Kampfe verloren hatten.
    Aber kaum glühte die Morgenröte am Himmel, als auch die Griechen schon wieder aufbrachen, voll Begierde, sich an Eurypylos zu rächen. Andre von ihnen legten bei den Schiffen den schönen Nireus und den hochbegabten Arzt und mächtigen Kämpfer Machaon ins Grab. Während nun in der Ferne die Schlacht wieder tobte, lag Podaleirios, der Bruder Machaons und wie dieser berühmt als der trefflichste Arzt im Heere, Trank und Speise verschmähend, im Staub, unter lautem Stöhnen. Er wich nicht vom Grabe seines geliebten Bruders; brütend sann er in seinem Geiste auf Selbstmord und legte bald die Hand ans Schwert, bald suchte er ein schnell wirkendes Gift, das er selbst gebraut hatte und immer bei sich trug, zu verschlingen. Seine Freunde aber wehrten ihm und sprachen ihm Trost ein; doch hätte er sich endlich am frischen Grabhügel seines Bruders getötet, wenn nicht der greise Nestor dem Verzweifelnden genaht wäre. Dieser traf ihn, wie er sich bald jammernd auf das Grab warf, bald wieder Staub auf sein Haupt streute, sich die Brust mit den nervigen Händen zerschlug und zugleich den Namen des getöteten Bruders ausrief. Schwer lag sein Kummer auf allen Dienern und Gefährten, die ihn umgaben. Da fing Nestor an, mit schmeichelnden Worten den Betrübten zu trösten: »Liebes Kind, mach doch deinem bittern Kummer ein Ende! Es ziemt einem verständigen Manne nicht, wie ein Weib an dem Grabe eines Toten zu jammern. Deine Klage ruft ihn doch nicht mehr ans Licht; das Feuer hat seinen Leib verzehrt, und seine Gebeine ruhen in der Erde. Er schwand, wie er gekommen ist. Du aber trage deinen großen Schmerz, wie ich den meinigen getragen habe, als der Sohn der Eos mir den Knaben erschlug, der mein liebster war und seinen Vater liebte wie keiner meiner Söhne. Als er für mich gestorben war, nahm ich doch Nahrung zu mir, wie vorher; ich ertrug es, das verhaßte Tageslicht auch ferner noch zu schauen; denn ich dachte daran, daß wir ja alle denselben Weg zum Hades wandeln müssen.«
    Podaleirios hörte den Greis an, während ihm die Tränen über die Wangen liefen, und sprach: »Vater, wie sollte der Gram um den erschlagenen Bruder mein Herz nicht beugen, der mich, den Älteren, als unser Vater Äskulap zum Olymp entrückt wurde, wie das eigene Kind auf den Armen trug, mit mir an demselben Tische aß, sein Lager, seine Habe mit mir teilte, in seiner herrlichen Kunst mich unterrichtete? Nachdem er mir gestorben, mag ich das liebliche Tageslicht nicht mehr schauen!«
    Doch der Greis ließ nicht ab mit seinem Troste. »Bedenke«, sprach er zu dem Bekümmerten, »daß die Götter es sind, welche uns die Geschicke senden, gute wie schlimme, und daß über allen die dunkle Parze waltet, welche dieselben blind auf die Erde hinabwirft: darum stürzt oft großes Unheil auf redliche Männer, und keiner gehet ganz sicher einher. Das Leben gestaltet sich stets wechselnd; bald fährt es zu großem Jammer, bald wieder zu Besserem. Dazu gehet ja auch die Sage unter den Menschen, daß der Gute zum seligen Himmel emporsteige und der Frevler in die Schrecken des Dunkels hinab. Dein Bruder aber war ein menschenfreundlicher Mann, dazu ein Göttersohn; darum hoffe, daß er zum Geschlechte der Götter emporgestiegen ist.« Mit solchen Trostworten hub Nestor den lange Widerstrebenden vom Boden auf und führte ihn von dem traurigen Orte hinweg; dieser aber sah sich noch oft nach dem Grabhügel um.
    Unterdessen nahte Eurypylos, der Mysier, auf dem Schlachtfelde, und die Danaer flohen aufs neue zu den Schiffen und fochten hier bald vor diesen, bald vor der

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