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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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weithin reichenden Mauer.
    NEOPTOLEMOS
    Während dies vor Troja geschah, kamen die Gesandten der Griechen, Diomedes und Odysseus, glücklich auf der Insel Skyros an. Hier trafen sie den jungen Sohn des Achill, Pyrrhos, der später von den Griechen Neoptolemos, das heißt Jungkrieger, genannt wurde, vor dem Hause des Großvaters, wie er sich abwechselnd im Pfeilschießen und Speerschleudern übte, dann auch wieder zu Wagen schnelle Rosse tummelte. Sie sahen ihm eine Weile mit Wohlgefallen zu und lasen mit inniger Teilnahme auf seinem Antlitz zugleich die Spuren der Trauer: denn der Tod des Vaters war dem Jüngling schon bekannt. Als sie näher traten, mußten sie staunen, denn der Jüngling war an schöner und hoher Gestalt ganz und gar seinem Vater ähnlich. Pyrrhos kam ihnen mit seinem Gruße zuvor: »Seid mir von Herzen willkommen, Fremdlinge«, sprach er. »Wer seid ihr und woher kommt ihr? Was wollt ihr von mir?« Darauf erwiderte ihm Odysseus:
    »Wir sind Freunde deines Vaters Achill und zweifeln nicht, daß wir zu seinem Sohne sprechen; so ganz 233
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    ähnlich bist du ihm von Gestalt und Antlitz. Ich selbst bin Odysseus aus Ithaka, der Sohn des Laërtes, mein Genosse aber ist Diomedes, der Sohn des unsterblichen Tydeus. Wir kommen, der Weissagung unsers Sehers Kalchas gehorsam, dich auf den Kampfplatz von Troja zu holen, damit wir den Krieg glücklich beendigen können. Die Söhne der Griechen werden dir herrliche Gaben verleihen, ich selbst will dir die unsterblichen Waffen deines Vaters, die mir zugesprochen worden sind, abtreten.«
    Freudig antwortete ihm Pyrrhos: »Wenn die Achajer mich rufen, der Stimme eines Gottes gehorsam, so laßt uns nur gleich morgen in die See stechen. Jetzt aber kommt mit mir in den Palast meines Großvaters und zu seinem gastlichen Tische!« In dem Königshause angelangt, fanden sie die Witwe des Achill, Deïdameia, noch in tiefer Herzensbetrübnis, dahinschmelzend in Tränen. Der Sohn trat zu ihr und meldete die Fremden, verbarg ihr aber bis zum andern Morgen den Grund der Ankunft, um sie nicht noch mehr zu bekümmern. Die Helden wurden satt und ergaben sich getrost dem Schlummer. Aber Deïdameia schloß ihre Augen nicht zum Schlafe. Ihr kam nicht aus dem Sinne, wie dieselben Helden, die sie jetzt unter ihrem Dache beherbergen mußte, es verschuldet hatten, daß sie jetzt ihren Gemahl als Witwe beweinte, indem sie ihm sein kampflustiges Herz beredeten, hinauszuziehen in den Krieg. Und nun ahnete ihr, daß auch ihr Sohn in denselben Sturm würde hinausgerissen werden. Deswegen erhob sie sich mit dem frühesten Morgenlichte, warf sich dem Sohn an die mächtig gewölbte Brust und erfüllte die Luft mit Wehklage. »O
    mein Kind«, rief sie, »ich weiß es, auch ohne daß du es mir gestehest: du willst mit den Fremden nach Troja, dem Sitze der Tränen, ziehen, wo so viele Helden und auch dein Vater untergegangen sind! Nun bist du aber so jung und aller Kriegswerke noch so unkundig! Darum höre auf mich, deine Mutter, und bleibe zu Hause bei mir, damit nicht auch noch die Unheilskunde an mein Ohr schlage, daß mein Sohn in der Feldschlacht gefallen sei wie sein Vater!« Aber Pyrrhos erwiderte: »Mutter, laß doch die Unglücksworte sein! Kein Mann im Kriege fällt wider des Schicksals Willen. Soll mein Los der Tod sein – nun, was könnte ich Besseres tun, als wert meiner Abstammung, für die Griechen sterben?«
    Da stand auch Lykomedes, sein Großvater, aus dem Ruhesessel auf, in welchem er zu schlummern schien, trat vor den Enkel und sprach: »Starkmütiges Kind, wohl sehe ich, daß du deinem Vater ganz gleich bist. Aber wenn du auch glücklich von Troja heimkehrst, wer weiß, ob nicht auf dem Heimwege das Verderben noch auf dich lauert; denn die Seefahrt ist doch ein gefährlich Ding!« So sagte er und küßte den Enkel, doch ohne ihn von dem Wege abzuhalten. Jener aber, dem ein holdes Lächeln sein junges Heldenangesicht verklärte, riß sich aus den Umarmungen der weinenden Mutter los und ließ Vaterpalast und Heimat hinter sich. Wie ihn die rüstigen Glieder so hintrugen, glänzte er hell wie ein Gestirn des Himmels. Ihm folgten die beiden Griechenhelden und zwanzig entschlossene Männer, lauter vertraute Diener Deïdameias, und alle schifften sich am Strande der Insel ein.
    Poseidon gab ihnen günstige Fahrt, und nicht lange, so lagen vor ihnen im Morgenlicht die Höhen des Idagebirges, Chrysa die Stadt, das Vorgebirge Sigeion,

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