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 Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Sichel.
    Gaia sagte: »Entmanne damit deinen Vater.«
    Kronos mähte mit dieser Sichel das Glied seines Vaters und Halbbruders Uranos ab und entmannte damit den Himmel.
    Kronos, der Sohn des Himmels und der Erde, entmannt also seinen Vater. Der Himmel ist für alle Zeit von der Erde abgetrennt. Von nun an muß ein Herrscher mindestens einen Fuß auf der Erde lassen. Allein vom Himmel aus kann die Erde nicht mehr beherrscht werden.
    Kronos, nachdem er das Geschlechtsteil seines Vaters abgeschnitten hatte, warf es hinter sich, ohne ihm nachzusehen. Blutstropfen fielen von diesem Geschlechtsteil auf die Erde nieder. Aus diesen Blutstropfen, die sich mit der fruchtbaren Krume der Gaia verbanden, wuchsen neue Wesen. Es wuchsen die Erinnyen, die Rachegöttinnen, die von den Römern Furien genannt wurden. Furchtbar sind diese Rachegöttinnen, durch alle Sagen ziehen sie hindurch, wie die Polizei der Mythologie, die einen Schuldigen zu Tode hetzt. Eines ihrer berühmtesten Opfer ist Orest. Wir werden von ihm hören. Diese Rachegöttinnen sind aus dem Aufschrei herausgewachsen. Aus dieser Überraschung, aus diesem ungeheuren, ersten Schmerz des Uranos, der zusehen mußte, wie sein eigener Sohn ihm jenes Körperteil abschnitt, aus dem er ja schließlich geworden war. In diesem Aufschrei war der Wunsch nach Rache. Dieser Wunsch war ganz enthalten in den Blutstropfen, die zuerst auf die Erde fielen, und so wuchsen aus ihnen die Erinnyen.
    Aus den weiteren Blutstropfen aber, in denen die Mannbarkeit schon nachgelassen hatte, wuchsen die Giganten. Es ist interessant, einen Blick auf diese Giganten zu werfen, nicht nur, weil sie so kurios häßlich waren. Manche klugen Denker sind der Meinung, daß die Giganten schon so etwas wie menschliche Formen an sich hatten. Man fragt sich da natürlich, wie sahen die anderen aus. Von Gaia wissen wir, wie sie aussieht, sie sieht aus wie unsere Erde. Uranos sieht aus wie unser Himmel. Bei Kronos sind wir uns nicht ganz sicher, er wechselt sein äußeres Erscheinungsbild mit der Zeit. Die Giganten jedenfalls hatten eine annähernd menschliche Gestalt, nur ihr Unterleib ging in einen schlangenförmigen Körper über. Sie hatten also etwas Echsenhaftes an sich. Sie standen auf zwei Beinen, hatten aber einen Echsenschwanz. Vielleicht waren die Giganten Saurier, wer weiß …
    Ich will diese Spekulationen gar nicht weiterführen. Wir sind immer noch bei dem Glied des Uranos, das durch die Lüfte fliegt. Die ersten Blutstropfen sind also bereits zur Erde gefallen, die zweiten ebenfalls, Erinnyen sind daraus geworden und Giganten.
    Dieses Glied landete im Wasser. Wenn ein Gott entmannt wird, da muß jeder Augenblick genau geprüft werden. Uranos wurde von seinem Sohn Kronos genau in dem Augenblick entmannt, als der Same schon im Penis war, und dieser Same, der sich im Meer mit dem Salzwasser vermischte, bildete einen Schaum, und dieser Schaum wurde in Zypern an Land gespült. Aus diesem Schaum erwuchs Aphrodite. Aphrodite, die Göttin der Liebe, Aphrodite, die Schaumgeborene.
    Aphrodite ist die Tochter des Himmels, sie ist eine Göttin der allerersten Stunde. Die Römer haben diese Gottheit übernommen, sie haben sie Venus getauft, und wir sehen Venus, wenn wir zum Himmel schauen, als Morgen- oder Abendstern.
    Als nun Kronos, der Sohn des Himmels und der Erde, die Macht ergriff, entpuppte er sich als derselbe Tyrann wie sein Vater. Er befreite seine Brüder, die Hundertarmigen, nicht, sie hatten so viel Hoffnung auf ihn gesetzt, sie meinten, er komme ihnen zu Hilfe. Nein, er tat ihnen noch Schlimmeres an, er drückte sie hinab in den Tartaros.
    Der Tartaros, das ist die tiefste, finsterste, unglückseligste Stelle in der Unterwelt. Es heißt bei Homer: »Der Tartaros ist von der Unterwelt so weit entfernt wie die Erde vom Himmel.«
    Dunkelheit ist für diesen Ort gar kein Ausdruck. Es ist das Allerschlimmste, was einem passieren kann, dort unten zu landen, und genau dort hinunter schlug Kronos seine Brüder, die Hundertarmigen.
    Der Titan Kronos nahm nun seine Schwester Rhea zur Frau.
    Aber die Erde, Gaia, gab ihm gleich eine Prophezeiung mit. Sie sagte: »Eines deiner Kinder wird dir ein ähnliches Schicksal bereiten, wie du deinem Vater, Uranos, beschert hast.«
    Rhea gebar dem Kronos nacheinander – und nun taucht das Personal des klassischen Götterhimmels auf – Hestia, das ist die Göttin des Herdes und der Hausordnung, sie wurde später so eine Art Hausmeisterin oben im Olymp; des weiteren:

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