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 Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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spaßig.
    Zunächst die eine Version: Teiresias geriet eines Tages in eine prekäre Lage. Er sah die Göttin Pallas Athene zufällig nackt. Athene ist eine jungfräuliche Göttin, die sich zwar gern mit Männern umgibt, dabei aber immer an ihren Verstand, nie an ihren Sexus appelliert.
    Teiresias sah also Athene eines Tages zufällig nackt im Bad, und er war ganz geblendet von ihrer Schönheit. So beging er den Fehler, sich erwischen zu lassen. Das war etwas, das Athene nicht vertragen konnte, daß jemand ihr ansah, daß sie leiblich war. Athene ist aus dem Kopf des Zeus geboren worden, sie ist eine Kopfgeburt. Sie ist allem Leiblichen, allem Sexuellen abhold. Sie will lieber gefürchtet als begehrt werden.
    Sie sah in dem Blick des Teiresias die Begierde, und da hat sie ihm blitzschnell ihre Hand auf die Augen gelegt, und das machte, daß Teiresias auf der Stelle blind war. Aber die Mutter des Teiresias war darüber so sehr bekümmert, daß Athene sich ein schlechtes Gewissen daraus gemacht hat.
    Athene hatte die Eigenart, daß sie immer eine Schlange vorne in ihrer Brusttasche mit sich herumtrug. Wir werden davon noch erzählen. Diese Schlange konnte so einige Zaubertricks. Athene bat also ihre Lieblingsschlange, sie solle dem Teiresias die Ohren auslecken. Das tat die Schlange. Sie säuberte dem Teiresias die Ohren auf so eigentümliche Art, daß er von nun an die Sprache der Vögel verstehen konnte. Deshalb hat Teiresias auch, wenn er die Zukunft weissagte, immer auf die Vögel gehört. Die Vögel, die ja so hoch über uns Menschen schweben, sie haben einen größeren Weitblick als wir. Sie sehen, was war, sie sehen, was ist, und sie sehen, was kommen wird. Nicht alles, was kommen wird, sehen sie, aber vieles. Wer die Stimmen der Vögel versteht, wer ihr Gezwitscher deuten kann, der versteht es, einigermaßen in die Zukunft zu sehen. – Übrigens: Athene muß wirklich ein sehr schlechtes Gewissen gehabt haben, denn bei derselben Gelegenheit gab sie dem Teiresias auch ein besonders langes Leben. Sieben Generationen soll es gedauert haben, dieses Leben.
    Die andere Version der Sage geht so: Teiresias, als er noch ein junger Mann war, spazierte durch den Wald und beobachtete zwei Schlangen, die sich gerade begatteten. Irgendwie kam ihm dieses Schauspiel zwar faszinierend, aber auch ungehörig vor. Er nahm einen Stab und schlug auf die beiden Tiere ein. Aber es waren natürlich heilige Schlangen, und als er das Schlangenweibchen erschlug, wurde er selbst augenblicklich in eine Frau verwandelt.
    Von nun an war Teiresias eine Frau. Es schien ihm keinen großen Kummer bereitet zu haben. Schnurstracks begab er sich in die nächste größere Stadt und lebte dort sieben Jahre als eine im Umgang mit Männern sehr erfahrene Hure.
    Nach diesen sieben Jahren wollte er – sie – wieder einmal frische Luft schnappen und sich von den verrauchten Kaschemmen erholen, in denen er sich herumtrieb. Er machte Urlaub auf dem Lande und kam auf einem seiner Spaziergänge zufällig an dieselbe Stelle im Wald, und wieder sah er ein Schlangenpaar sich begatten, und wieder ekelte er sich davor. Er wunderte sich darüber, daß diese Kreatur solche Lust verspüren kann. Er nahm wieder einen Stab und schlug auf die beiden ein. Diesmal traf er das Schlangenmännchen. Das Schlangenmännchen war tot, und augenblicklich war Teiresias zurückverwandelt in einen Mann.
    Nun gab es eine andere Geschichte, die sich oben im Olymp abspielte. Zwischen Zeus und Hera, seiner Schwester, die gleichzeitig seine Frau war, gab es Streit. Durch die ganze Ilias des Homer hindurch ziehen sich diese Keifereien zwischen Zeus und Hera, und einmal gab es Streit über folgende Frage: Wer hat beim Beischlaf mehr Lust, der Mann oder die Frau?
    Hera sagte: »Der Mann hat mehr Lust. Er macht auch mehr Lärm.«
    Zeus sagte: »Nein, es hat eindeutig die Frau mehr Lust«, weil als Macho, der er ja ohne Zweifel war, ging er davon aus, daß der Mann der große Lustspender sei, und er sagte zu Hera: »Ihr habt gewiß mehr Lust, wenn wir Männer sie euch geben, als wir Lust haben, wenn ihr Frauen sie uns gebt.«
    Und Hera meinte natürlich das Gegenteil.
    Ja, wie sollte man das herauskriegen? Wer hat da recht? Das ist ja nicht so einfach, denn letztendlich kann sich ein Mann nicht in eine Frau versetzen und eine Frau nicht in einen Mann. Es war schon klar, es konnte eigentlich nur einen einzigen Richter in dieser Angelegenheit geben, nämlich jemanden, der sowohl ein Mann als

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