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 Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Hippodameia sagte, sie habe nun Durst. Ihr Gatte soll ihr etwas zu trinken holen.
    Pelops ganz ruhig: »Ja, das werde ich tun.«
    Er ging zu einer Quelle, füllte seinen Helm mit Wasser. Als er zurückkehrte, kam ihm seine Frau schon entgegengelaufen, weinend, und rief, Myrtilos habe sie vergewaltigen wollen.
    Pelops sagte weiter nichts, befahl ihnen, in den Wagen zu steigen, und als sie oben in der Luft waren, gab er Myrtilos einen Stoß, und der stürzte ab.
    Noch im Fliegen flehte Myrtilos zu seinem Vater, Hermes, er möge seinen Tod rächen, und er verfluchte Pelops und rief: »Über dich und über dein ganzes Geschlecht soll mein Fluch noch zum Fluch des Tantalos dazukommen. Deine Söhne sollen sich vom ersten Augenblick ihrer Geburt an bis zu ihrem Tod hassen, und sie sollen sich bis zum Augenblick ihres Todes in Haß verfolgen.«
    Das war der Fluch des Myrtilos. Sein Vater Hermes fing ihn auf, bevor er auf der Wasseroberfläche aufschlug, und weil er gerade so einen Schwung im Arm hatte, schleuderte er den Myrtilos in den Himmel, und dort blieb er als Sternbild des Wagenlenkers hängen.
    Pelops und Hippodameia hatten viele Kinder. Dann hatte Pelops, das sei nur nebenbei erwähnt, noch einen ledigen Sohn, wir kennen ihn bereits, Chrysippos hieß er, er wurde später der Liebhaber des Laios, des Vaters des Ödipus. Uns interessieren die beiden Söhne Atreus und Thyestes. Sie hat der Fluch des Wagenlenkers Myrtilos am schwersten getroffen.

Atreus und Thyestes
    Vom Bruderhaß – Von einem goldenen Schaf – Von der
Umkehr der Sonne – Von einem grausigen Essen –
Vom unbändigen Haß – Von einer Killermaschine
     
     
    Steigen wir hinab in die vielleicht grausamste Geschichte der griechischen Mythologie! In keiner anderen Sage wird das logische, psychologische und moralische Fortschreiben eines Fluches in so katastrophal konsequenter Kausalität demonstriert wie hier. In keiner anderen Sage wird die innere Motorik von Haß und Krieg so schonungslos vorgeführt.
    Pelops wußte, daß seine Söhne Atreus und Thyestes sich außerordentlich haßten, und er verfügte, daß die beiden, jedenfalls solange er lebte, nicht zusammenkamen. Sie wurden in getrennten Teilen des Schlosses untergebracht. Wenn der eine beim Vater war, durfte der andere sein Zimmer nicht verlassen; wenn der andere bei der Mutter war, mußte der eine warten; wenn der eine schlief, war der andere wach; wenn der eine spielte, dann mußte der andere essen – und so weiter. Sie wußten voneinander, aber man ließ sie nicht zusammen.
    Aber schließlich waren sie erwachsen, und nach dem Tod ihres Vaters drohte die Frage: Wer wird das Reich erben?
    Es hieß, ein Seher habe geweissagt: »Derjenige, welcher der Herrscher sein wird, dem wird ein Zeichen gegeben.«
    Eines Tages entdeckte Atreus in seiner Herde ein goldenes Lamm, und er ging davon aus, das sei das Zeichen. Er untersuchte das Fell, es war aus purem Gold, er untersuchte die Zunge des Lammes, sie war aus purem Gold, und er sagte sich: »Das kann nur das Zeichen sein, ich werde alles erben.«
    Er wollte das Schaf der Göttin Athene weihen, aber dann war es ihm doch zu schade, und er ließ ein anderes schlachten und weihte dieses Schaf der Göttin. Das goldene Schaf aber schlachtete er für sich, nahm es aus und ließ es ausstopfen. Dann gab er überall bekannt, ihm sei das erwartete Zeichen gegeben worden.
    Was Atreus nicht wußte, war, daß seine Frau hinter seinem Rücken ein Verhältnis, ein sehr leidenschaftliches Verhältnis zu seinem Bruder Thyestes unterhielt. Die Frau verriet Thyestes, dem eingeborenen Feind, daß das Zeichen ein goldenes Lamm sei und daß Atreus dieses Lamm besitze. Sie führte Thyestes in die geheimste Kammer des Atreus, und Thyestes stahl das goldene Lamm.
    Bald darauf berief Thyestes eine Volksversammlung ein.
    Er sagte: »Jetzt muß endlich eine Entscheidung getroffen werden!«
    Atreus war immer noch der Meinung, er sei der Besitzer des goldenen Lammes, und er stimmte seinem Bruder zu, forderte ihn sogar auf, weiterzusprechen.
    »Es muß eine Entscheidung getroffen werden«, sagte Thyestes, »und ich bin der Meinung, das Volk soll entscheiden, wer von uns beiden der König sein soll.«
    »Nein«, sagte Atreus, »nicht das Volk soll entscheiden, die Götter sollen ein Zeichen setzen. Und die Götter haben bereits ein Zeichen gesetzt. Wer von uns ein goldenes Lamm vorweisen kann, der soll der König werden!«
    Zur Verwunderung des Atreus stimmte Thyestes

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