Sagen und Maerchen aus Sachsen und Thueringen (Erweiterte Ausgabe)
Roß und einen Jagdhund, und die Rosse und Hunde glichen sich so vollkommen wie ihre Herren und waren auch in einer Stunde von einer Mutter geboren.
Nun sprach der ältere Sohn eines Tages »Vater, das Schloß ist mir zu eng; ich muß hinaus ziehen und mir die Welt besehen. Hier im Garten will ich eine Lilie pflanzen, an der kannst du stets sehen wie es mir geht. Wenn sie aufrecht steht, bin ich gesund; wenn sie sich neigt, bin ich in Noth, und wenn sie verwelkt, bin ich todt .« Er pflanzte die Lilie und ritt dann, von seinem Jagdhunde begleitet, manche hundert Meilen, bis er in eine Stadt kam, in der Alles festlich geschmückt war und auf allen Straßen viele stattliche Ritter hin und her zogen. Da kehrte er in einem Gasthause ein und hörte dort daß in einer Stunde ein großes Turnier vor dem Könige und seiner Gemahlin gehalten werden sollte, und wer im Turniere Sieger bleibe, der bekomme des Königs einzige Tochter und das ganze, große Königreich. Und er dachte, hier gelte es seine ritterlichen Künste, die er daheim gelernt hatte, zu versuchen, ritt zum königlichen Schloß und sah auf dem Balkon ein schönes Mädchen stehen. Er schlug sein Visier zurück und grüßte freundlich. Da that das Mädchen einen hellen Schrei und sprang ins Zimmer. Es war aber die Königstochter gewesen und war über seine Schönheit so erschrocken. Sie eilte zu ihrem Vater und bat ihn »Wenn der junge Ritter, der eben in den Hof reitet, mit turnieren will, so thu mirs zu Liebe und weis ihn ab. Der Ritter Wolf tödtet ihn sonst, und er ist so schön! und wenn er todt ist, geh ich ins Kloster und will keine Königin werden .« Der alte König lachte und ging dem Ritter, der unterdeß die Treppe herauf gestiegen war, freundlich entgegen, führte ihn in einen großen Saal, wo sich die Ritter, die an dem Turniere Theil nehmen wollten, alle versammelten; und sie zechten, bis der Herold das Zeichen zum Aufbruch gab. Den jungen, fremden Ritter aber, der noch so zart aussah, und von dem Niemand wußte daß er ein Königssohn war, blickte mancher Alte höhnisch über die Achseln an; und der übermüthige Ritter Wolf, welcher die Perle des Ritterthums hieß und sich im Voraus als des Königs Nachfolger betrachtete, klopfte ihm, als sie die Treppe hinuntergingen, auf die Schulter und sprach lachend »Was ihr für zarte Wänglein habt! Hat eure Frau Mutter euch gestern oder vorgestern das Rößlein geschenkt ?« Das hörte der junge Königssohn schweigend an, schwang sich aufs Roß und sprengte auf den Kampfplatz.
Der Ritter Wolf stach alle Gegner im Turniere nieder: wenn er sie nur mit der Lanze berührte, flogen sie, wie vom Winde geweht, weit über das Roß hinaus auf den Sand. Doch als er mit dem Königssohne zusammenritt, zersplitterte die Lanze des einen an des andern Panzer; beide Reiter aber rückten sich nicht im Sattel. Sie stiegen hierauf von den Rossen und gingen mit den Schwertern auf einander los; und sie fochten wohl drei Stunden lang, bis der Königssohn dem Ritter Wolf das Schwert durch den Panzer mitten ins Herz stieß. Da war des Ritters Freude in den Brunnen gefallen, und er konnte sehen ob man ihn im ewigen Leben zum Könige machen wollte.
Die Königstochter trat nun aus der Mitte der Frauen, welche dem Turniere zugeschaut hatten, und der junge Ritter kniete vor ihr nieder: sie aber hob ihn auf und küßte ihn als ihren lieben Bräutigam. Und noch an demselben Tage wurde die Hochzeit gefeiert, und eine ganze Woche lang folgte ein Fest auf das andre. Daheim aber gingen die Eltern des jungen Königs und sein Bruder täglich zur Lilie, und sie freuten sich daß sie immer frischer zu blühen anfing.
Als die Feste zu Ende waren, sprach der junge König »Ich habe nun ein schönes Weib und ein großes Reich gewonnen. So will ich ausziehen das Land zu beschauen, und ich will heut mit den Wäldern anfangen und eine Jagd halten .« Und er zog mit seinen Jägern hinaus in den Wald. Sie trafen viele Hirsche, Rehe, Eber und anderes Wild, doch lange keinen Hasen, bis ihnen endlich einer entgegensprang, der nur drei Beine hatte, aber doch so schnell wie andre Hasen lief. Weil dem jungen Könige dies wunderbar schien, rief er seinen Jagdgesellen zu, er wolle den Hasen allein jagen, und setzte ihm nach durch das Dickicht, bis sich sein Pferd vor einer Felsgrotte zurückbäumte. In die Grotte war der Hase gesprungen, und in demselben Augenblicke hinkte ein altes, gebücktes Mütterchen daraus hervor, das war sehr häßlich, hielt
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