Sagen und Maerchen aus Sachsen und Thueringen (Erweiterte Ausgabe)
graue Männchen vorausgesagt hatte, kam sie heran und drohte ihn zu erwürgen, wenn er nicht gleich aufstünde; doch je mehr sie schalt, desto weißer wurde ihr Gesicht: und da sich der Soldat nicht regte, faßte sie ihn zuletzt freundlich bei der Hand und sagte »Steh auf, steh auf! ich bitte dich um der drei Wunden Christi willen .« Und wie sie das gesprochen hatte, wurde sie blendend weiß und wunderschön; und kaum war der Soldat aufgestanden, so fiel sie ihm um den Hals und rief »Wie soll ich dir danken, du mein Erlöser? Du sollst mein Bräutigam sein, und wenn mein Vater stirbt, schenk ich dir das ganze Königreich .« Sie setzten sich vor den Altar und herzten und küßten sich bis zum Morgen. Und als am Morgen die Wache kam den Soldaten abzulösen, erstaunte sie, als sie die beiden sitzen sah, lief zum Könige und erzählte ihm daß der Soldat seine Geliebte in der Kirche habe, und daß sie am Altar einander küßten. Doch der König merkte was geschehen war: er ließ seinen besten Staatswagen vorfahren und holte die beiden in der Kirche ab. Drei Tage darauf wurde Hochzeit gehalten; und als der König gestorben war, herrschte der Soldat mit seiner jungen Frau über das Land und beglückte alle Unterthanen.
6. Die verwünschten Prinzessinnen.
Mündlich aus Wettin.
Ein Unteroffizier, ein Tambour und ein gemeiner Soldat wurden darüber einig, daß es besser sei gut essen und trinken und sein eigner Herr sein als sich im Kriege zum Krüppel schießen lassen. Darum zogen sie bei Nacht und Nebel aus um zu suchen wo sie gut Essen und Trinken fänden und ihre eignen Herren wären. Sie kamen in einen großen Wald, und weil es dunkel war, verirrten sie sich. Da überlegten sie denn was zu thun sei und beschlossen, Einer von ihnen solle auf einen Baum steigen, und wenn er ein Licht sehe, nach der Seite hin seine Mütze herunter werfen. Das Loos traf den Tambour, und er stieg auf eine hohe Fichte, sah auch wirklich ein Licht und warf die Mütze nach der Gegend hin. Nun gingen sie frohes Muthes in der Richtung weiter und kamen zu einem niedlichen, wohleingerichteten Häuschen; in dem stand ein Tisch mit drei Stühlen, und auf dem Tische dufteten die schönsten Speisen und Getränke, doch es war kein Mensch im ganzen Hause zu finden. Die drei Wanderer setzten sich an den Tisch, aßen und tranken, und am andern Morgen beschlossen sie daß immer einer von ihnen zu Hause bleiben und die Wirthschaft besorgen solle, während die andern auf die Jagd gehen und sich sonst in der Gegend umsehen könnten.
Den ersten Tag blieb der Unteroffizier zu Haus. Er fegte die Stube, putzte die Fenster und kochte ein gutes Abendbrot für sich und seine Kameraden. Und als das Essen fertig war, und er sich hinsetzte seinen Theil zu verzehren, kam ein graues Männchen und sagte »Mir auch Etwas !« Der Unteroffizier wollte anfangs dem Männchen nichts geben; doch da es immerfort bettelte, gab er ihm ein Stückchen Brot. Damit war es aber nicht zufrieden, sondern forderte auch noch Fleisch; und als es wieder lange gebettelt hatte, reichte ihm der Unteroffizier ein Stückchen Fleisch. Doch das graue Männchen war so ungeschickt und ließ es auf den Boden fallen. »Ach, ich bin so steif und kann mich nicht bücken« sagte es: »sei doch so gut und heb mir das Fleisch auf .« Das that der Unteroffizier auch: kaum aber hatte er sich gebückt, so holte das Männchen eine Peitsche hervor, gab ihm in einer Minute wohl zwanzig Hiebe und verschwand. Als nun seine Gefährten zurückkamen, war er sehr ärgerlich; doch sagte er ihnen nichts, sondern dachte, sie können es ja auch versuchen.
Am zweiten Tage mußte der Gemeine die Wirthschaft führen, und es ging ihm nicht besser als dem Unteroffizier, doch er hütete sich wohl am Abend Etwas davon zu erzählen. Als nun am dritten Tage der Tambour zu Hause blieb, kam das graue Männchen wieder und bettelte um Brot und Fleisch, ließ das Fleisch wieder auf die Erde fallen und bat den Tambour es aufzuheben. Doch der Tambour war des Teufels Putzebeutel, oder mit andern Worten, er war aus dem Kessel gesprungen, das heißt, er war ein pfiffiger, ausgelassener Strick wie alle Tamboure: der merkte daß Etwas dahinter steckte und behielt, als er sich bückte, das Männchen immer im Auge, und wie er sah daß es die Peitsche hervorzog, sprang er auf, nahm die Peitsche und prügelte das arme graue Männchen braun und blau. Da lief es eilig aus der Stube, hob im Hause eine Fallthür auf und
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