Sahnehäubchen: Roman
ins Ohr: »Von all den anderen Sachen, zu denen ich jetzt große Lust hätte, mal ganz abgesehen.«
Ich merke, dass ich rot werde. Ehrlicherweise hätte ich auch noch auf ein paar andere Dinge Lust … aber in diesem Moment beschließe ich, dass ich besser nach Hause fahre und mich ins Bett lege. Alleine, wohlgemerkt. Denn so angeschickert, wie ich mittlerweile bin, ist es bestimmt eine gute Idee, diesen schönen, aber unerwartet verlaufenen Abend genau hier enden zu lassen. Ich gleite also von meinem Barhocker und hoffe, es sieht auch wirklich nach gleiten aus und nicht nach Guck mal, die besoffene Tante fällt fast vom Stuhl.
»Du, ich glaube, noch einen Gin schaffe ich nicht. Ich rufe mir jetzt lieber ein Taxi und fahre nach Hause. Es ist schon sehr spät, und ich muss morgen früh raus.«
»Dann trinke ich auch nichts mehr.« Nils steht ebenfalls wieder auf. »Ich komme lieber mit und bringe dich nach Hause.«
»Danke, aber das ist nicht nötig«, lächle ich ihn dankbar an.
»Doch, darauf muss ich als Gentleman bestehen.«
»Nein, das ist völlig in Ordnung«, sage ich mit sanftem Nachdruck. »Ich fahre allein.«
»Machst du dir etwa Sorgen, ich könnte die Situation ausnutzen?«
»Im Gegenteil, ich mache mir Sorgen, ich könnte die Situation ausnutzen.«
Nils muss grinsen. »Na ja, so gesehen …« Er winkt dem Barmann und bestellt unsere Getränke wieder ab. Ich gebe ihm noch einen letzten Kuss, dann wanke ich nach draußen Richtung Taxistand.
Obwohl ich todmüde bin, kann ich nicht einschlafen. Zu viele Dinge schwirren in meinem Kopf herum, der noch dazu besonders schwer von Champagner und Gin Tonic ist. Gut, dass ich den letzten nicht mehr getrunken habe. Ich hatte definitiv genug davon. Ob das erklärt, warum ich mit Nils unbedingt knutschen musste? Wahrscheinlich auch – aber nicht nur. Wenn ich ehrlich bin, wäre es zu billig, das einfach auf den Alkohol zu schieben. Ich wollte es wirklich. Und es hat sich gut angefühlt. Verdammt gut.
Ich mache meine Nachttischlampe an und versuche, etwas zu lesen. Vielleicht beruhigt mich das. Aber schon nach drei Seiten kehren meine Gedanken immer wieder zu Nils zurück. So hat es keinen Sinn. Ich lege das Buch zur Seite. Wie wird es wohl sein, wenn ich Nils das nächste Mal sehe? Ob mir dieser Abend dann peinlich ist? Immerhin haben wir noch eine Lesung vor uns, die professionell betreut werden will. Dort nur mit rotem Kopf neben Nils zu stehen kann ich mir nicht leisten.
Und dann muss ich auf einmal an Tom denken. Was würde er sagen, wenn er wüsste, wie kuschelig es zwischen mir und Nils geworden ist? Es ist noch keine vier Tage her, dass ich mit Tom händchenhaltend an der Elbe spazieren war. Was ist denn bloß mit mir los? Jahrelang tut sich in meinem Liebesleben gar nichts, und auf einmal habe ich das Gefühl, zwischen zwei Männern zu stehen! Unruhig wälze ich mich im Bett hin und her.
Andererseits habe ich keinen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben: Ich habe Tom schließlich nichts versprochen. Und er ist schließlich derjenige, der auf Tauchstation gegangen ist. Trotzdem werde ich dieses Gefühl nicht los: das Gefühl, mich nicht ganz richtig verhalten zu haben.
Ich stehe wieder auf und mache mir eine warme Milch. Während ich auf der Bettkante sitze und sie trinke, denke ich noch einmal an den Abend mit Tom. Der war auch schön. Sehr, sehr schön sogar. Aber warum hat sich Tom danach nicht mehr bei mir gemeldet? Ich beschließe, ihm nun endlich die E-Mail zu schreiben, die ich neulich nicht zustande gebracht habe. Und zwar gleich. Schlafen kann ich sowieso nicht.
Mit dem Laptop auf den Knien sinniere ich über einen möglichst intelligenten Text. Leider will mir keiner einfallen. Und so schreibe ich einfach:
Lieber Tom,
wieso meldest Du Dich nicht mehr? Versuche die ganze Zeit, Dich zu erreichen.
Viele Grüße, Nina
Dann klicke ich auf Senden. Hoffentlich bekomme ich diesmal eine Reaktion.
Sie folgt zu meiner Überraschung schon eine halbe Stunde später: Es klingelt an meiner Tür. Morgens um 4:36 Uhr?
Während ich mir schlaftrunken die Augen reibe, ist mir sofort klar, dass das nur Tom sein kann. Der Blick durch den Spion bestätigt das: Er steht im Hausflur und wartet darauf, dass ich die Tür öffne. Ich schaue kurz in den Spiegel neben meiner Garderobe: Mist, ich habe schon wieder das unglückselige Minni-Maus-T-Shirt an! Für ein aufwendiges Styling ist auf keinen Fall Zeit, Tom wird kaum zwanzig Minuten vor der
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