Sahnehäubchen: Roman
ChiChi-Bar hat ja auch eindrucksvoll bewiesen, dass dieser Baggertipp bestens dazu geeignet ist, eine fulminante Bauchlandung einzuleiten.
»Mach dir keine Gedanken, Tom«, beruhige ich ihn, »Dwaine hat bestimmt recht, und ein bisschen Leben kann der Seite nur guttun. Ich finde Fred außerdem ganz lustig.«
»Du bist auch eine Frau. Also eindeutig keine Zielgruppe.«
»Nina, ich freu mich so, dich zu sehen!« Finja fällt mir am Bahnsteig um den Hals, als wären seit unserer letzten Begegnung mindestens zehn Jahre vergangen. Tatsächlich waren es nur vier Tage, offenbar für sie aber gefühlt deutlich länger.
»Ich find’s auch schön, dass du da bist«, antworte ich, wobei mir ein Spuck’s aus, was willst du wirklich hier eigentlich lieber wäre. Aber ich werde schon noch herausbekommen, was hinter der plötzlichen Gefühlsverwirrung meiner großen Schwester steckt.
Dwaine ist mit zum Bahnhof gekommen. Galant nimmt er Finja mit einer Hand die Reisetasche ab, mit der anderen drückt er kurz ihren Unterarm. »Hallo Finja, schön, dich wiederzusehen.« Dazu grinst er so schmierig, dass ich ihm am liebsten Denk dran: weder Schwester noch Mutter, Oma oder Uroma zuraunen oder ihm einfach kräftig vors Schienbein treten würde. Aber Finja lächelt ihn dankbar an, und so unterdrücke ich meine gewalttätigen Fantasien.
»Du, Finja«, ergreife ich das Wort, um Dwaine von weiterem Begrüßungsgesäusel abzuhalten, »hast du Lust, mit uns ein bisschen shoppen zu gehen? Dwaine braucht noch etwas zum Anziehen für die Talkshow morgen.«
»Shoppen? Na klar, da bin ich dabei«, freut sich Finja.
Wir zockeln los und stolpern gleich in den Hauptbahnhofpromenaden über den Herrenausstatter Engbers, dessen Auswahl man wohl als gediegen-sportiv bezeichnen kann. Ein distinguierter Verkäufer steuert auf uns zu. »Sie wünschen?« Dabei mustert er Dwaine unauffällig von oben bis unten. Ich habe mich schon so an seinen Anblick gewöhnt, dass mir erst jetzt auffällt, wie unmöglich er wieder aussieht: schwarze Fransen-Lederjacke, darunter das lilafarbene Satinhemd mit Siebziger-Jahre-Kragen weit aufgeknöpft, damit man auch bloß das Geschmeide sieht; eine hautenge Röhrenjeans, die an einer bestimmten Stelle wie mit Socken ausgepolstert scheint; dazu Westernstiefeletten aus blauem Schlangenleder. Das ist unser Dwaine, der Möchtegernzuhälter.
Der Verkäufer lässt sich natürlich nichts anmerken, beflissen präsentiert er uns Sakkos, Anzüge, Hosen. Alles sehr geschmackvoll, sehr dezent, in gedeckten Farben – Braun, Dunkelblau, Grau und Schwarz. Dwaine rümpft die Nase. »Haben Sie nicht etwas Stilvolleres, ein bisschen was mit Farbe oder so?«
»Bedaure«, der Verkäufer zuckt mit den Schultern, »das ist die aktuelle Kollektion, also das, was man jetzt trägt.«
»Na, damit kriegen Sie aber kein Häschen zum Hoppeln«, klärt ihn Dwaine auf und verlässt schnurstracks den Laden. Etwas ratlos schaut uns der Mann an.
»Er ist Tierschützer«, behauptet Finja spontan, aber ganz so, wie man es von einer Vorzeigeehefrau erwarten würde: souverän, freundlich, ohne auch nur den leisesten Zweifel an ihrer Aussage aufkommen zu lassen. »Er vertreibt Hasen und Damwild aus den Jagdgebieten, um sie vor Jägern zu schützen. Und dazu braucht er natürlich etwas, vor dem die kleinen Hoppelmänner und Bambis sofort Reißaus nehmen.«
Nun starrt der Verkäufer Finja fassungslos an. Wir verabschieden uns schnell und stolpern hinter unserem Modeexperten her. Dabei krame ich in meiner Handtasche nach dem Zettel, auf dem ich mir wohlweislich die Adressen von ein paar Geschäften in Leipzig notiert habe. Irgendwie hatte ich geahnt, dass so ein Einkaufsbummel mit dem Meister kein reines Vergnügen wird …
Auf dem Bahnhofsparkplatz will ich gerade auf mein Auto zusteuern, als mich Finjas gequiektes »O Dwaine!« im Lauf unterbricht. Von links rollt nämlich die weiße Stretchlimousine heran. Nee, oder?
»Dwaine, das ist jetzt nicht dein Ernst«, protestiere ich, als der Chauffeur aussteigt und uns die Tür aufhält.
»Natürlich, Baby«, grinst Dwaine weltmännisch, »ich weiß, was sich gehört, wenn ich mit zwei so entzückenden Täubchen unterwegs bin.«
Was für ein Angeber!
Mit hochrotem Kopf krabbele ich unter den neugierigen Blicken des umstehenden Publikums in den Fond. Wie peinlich! Meine Schwester dagegen ist ganz aus dem Häuschen. Sie klatscht vor lauter Begeisterung sogar in die Hände. »Ach Dwaine, das ist ja
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