Sahnehäubchen: Roman
ich, dass das auch dringend nötig ist. Henning, der mich eigentlich vertreten sollte, hat offensichtlich beschlossen, dass das Lesen fremder Post auch dann gegen das Briefgeheimnis verstößt, wenn es eigentlich zum Job gehört und bezahlt wird. Ich beginne also, einen Teil des Arbeitsberges auf meinem Schreibtisch abzutragen.
Die ersten Schreiben fallen eindeutig in den Bereich ungewünschte Werbung – Druckereien, die uns versprechen, die tollsten Flyer der Welt zu liefern, und Branchenbücher, in denen man unsere Agentur mit Sicherheit sofort findet; das alles wandert ungelesen in den Papierkorb. Danach zeichne ich Rechnungen ab und schreibe eine kurze Notiz für unsere Buchhaltung, wie mit einer der Zahlungen zu verfahren ist. Zwei Einladungen, einmal zu einem Fachkongress, bei dem ich offensichtlich viel Geld dafür ausgeben soll, das zu erfahren, was ich sowieso tagtäglich mache, und einmal an die Uni, um dort mein Wissen an Studenten weiterzugeben, kostenlos allerdings. Und dann noch ein paar Rechnungen.
Der nächste Brief sieht allerdings interessant aus: Er ist per Hand an mich adressiert und mit einer Schrift, die mir sehr bekannt vorkommt. Ich drehe ihn um, damit ich den Absender lesen kann – Fehlanzeige. Stattdessen hat Frau Smit darauf notiert: Wurde heute durch Boten abgegeben.
Neugierig reiße ich den Umschlag auf und überfliege die ersten Zeilen. Der Brief ist recht kurz, und das Gefühl, die Handschrift zu kennen, hat mich nicht getäuscht. Er ist von meinem Schwager Alexander.
Liebe Nina,
Du wirst Dich vielleicht wundern, warum ich Dir an Dein Büro schreibe. Ich mache das, weil ich davon ausgehe, dass Finja eben nicht mit der mysteriösen Freundin auf einem noch mysteriöseren Kurzurlaub ist, sondern wahrscheinlich gerade bei Dir wohnt, also auch die eingehende Post sieht. Es wäre wohl ganz gut, wenn sie nicht mitbekommt, dass ich mich an Dich wende. Ich möchte nicht, dass sie das Gefühl bekommt, dass etwas hinter ihrem Rücken geschieht. Aber ich weiß weder ein noch aus und brauche einfach jemanden, mit dem ich reden kann.
Ich gebe zu, dass ich auch zu Dir in letzter Zeit nicht immer der nette Schwager war, der ich hätte sein können. Trotzdem bitte ich Dich um Hilfe. Ich habe wahnsinnige Angst, Finja zu verlieren. Ich weiß, auch ich habe in letzter Zeit nicht alles richtig gemacht. Wahrscheinlich habe ich ihr viel zu wenig gezeigt, was sie für mich bedeutet, wie wichtig sie für mich ist. Dabei liebe ich sie doch!
Natürlich ist mir klar, dass Du als ihre Schwester eher auf ihrer Seite stehst. Aber ich wäre Dir unendlich dankbar, wenn Du Zeit für ein Gespräch hättest. Ruf mich doch bitte an.
Viele Grüße
Alexander
Gut, wahrscheinlich ist es nicht exakt das, was sich Susanne unter »arbeiten« vorstellt, aber besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen: Ich schnappe mir mein Telefon und rufe im Krankenhaus an. Die Vorstellung, Finja könnte demnächst mitsamt ihren drei Kleinkindern dauerhaft bei mir einziehen, ist nicht besonders verlockend. Wenn ich das verhindern kann, werde ich es tun.
19. Kapitel
E ine halbe Stunde später treffe ich Alexander in einem kleinen Café in der Nähe des Krankenhauses. Offensichtlich ist er richtig verzweifelt, er wollte unbedingt sofort mit mir sprechen. Tom habe ich etwas von einem Auswärtstermin erzählt und ihn dazu verdonnert, meine Post schon einmal vorzusortieren und nach Vorgängen zu ordnen. Das beschäftigt ihn mindestens eine Stunde. Außerdem soll er mein Telefon bewachen und mich sofort anrufen, sollte Dwaine … äh, Nils in der Agentur auftauchen. Der Gedanke, dass die beiden Jungs ohne mich allzu viel Zeit miteinander verbringen könnten, ist mir nicht sympathisch – nicht, dass sich Nils nun doch noch verquatscht und das Schlamassel immer größer wird. Aber Alexander ließ sich nicht vertrösten, und so habe ich mich gleich nach unserem Telefonat auf den Weg gemacht.
Er wartet schon auf mich; als ich hereinkomme, springt er von seinem Stuhl auf und winkt mir hektisch zu. Schlecht sieht er aus, mit Augenringen und fahler Gesichtshaut. Ich tippe mal auf ständige Schlafunterbrechungen durch kleine Kinder. Nun, mein Mitleid dafür hält sich in überschaubaren Grenzen.
»Danke, dass du gleich gekommen bist, Nina. Ich hoffe, ich bringe deinen Tag jetzt nicht völlig durcheinander.«
»Hallo Alexander. Ist schon okay, ich habe allerdings nicht viel Zeit.«
»Ich habe mir schon einen Kaffee bestellt,
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