Saiäns-Fiktschen
objektiven dialektischen Idealisten auf solch klaffende Lücken gestoßen, daß er, der Chef, in sprudelnder Wut und mit dem striktesten Auftrag, sie bis zum Quartalsschluß als endgültig gelöst abzuliefern, die vakanten Probleme von viertausend Jahren im Institut persönlich dergestalt reihum verteilt habe, daß der Kausalitätstrakt die gesamte Sophistik samt Eleaten, Megarikern und ähnlichen Fangschlüßlern und er, Janno, davon das leidige Haufenproblem der Herren Zenon und Eubulides, mit dem sich sogar ein Hegel herumgebalgt habe, den sogenannten SORITES, erhalten, welch Problem man, vereinfacht, etwa so darstellen könne:
Es werde gefragt, was ein Haufen sei, zum Beispiel ein Haufen Getreidekörner oder Reiskörner oder eben — und da war Janno wieder zur Waschschüssel zurückgekehrt und legte die Rechte fast zärtlich auf ihre kostbare Fülle —, oder eben, wie hier, auch ein Haufen Schräubchen: Ihrer zwei seien noch kein Haufen, ihrer drei auch nicht, auch noch nicht ihrer vier, hingegen, wie Jirro ja selbst festgestellt, ihrer fünfhundertzweiundsechzig seien dies durchaus, woraus die Frage resultiere, wieviel ihrer genau einen Haufen ausmachten, oder anders: wann, mit dem wievielten Element, ein Noch-nicht-Haufen beginne, ein Haufen zu sein; oder auch so: wann ein Haufen ende und ins Stadium des Nicht-mehr-Haufens schwinde, was wiederum nichts andres bedeute, als mit einem Noch-nicht-Haufen identisch zu werden: Dies SORITES-Problem scheine nämlich auf zwei Wegen lösbar, dem der Vermehrung vom Nochnicht
bis
zu einem, aber auch dem der Verminderung zum Nichtmehr
von
einem Haufen, auf welch zweitem Weg er, Janno, sich gegenwärtig befin-
und da, als der Philosoph, und nun demonstrierend, ein fünftes Schräubchen zum zweiten Mal der Waschschüssel entnehmen wollte, fiel ihm der Physiker scharf ins Wort: Es sei ihm jetzt alles hinreichend klar, er habe nur die eine Frage, wer eigentlich all die Filme bezahle, die Janno da massenweise belichte, und als Janno gestand, dies tue er selbst, da in der Materialverwaltung des Philosophieinstituts schon lange keine Filme mehr vorrätig seien, schüttelte Jirro heftig den Kopf: Das seien aber ungute Neuerungen, die Janno da einführe: Gerade als Kausalitätler müsse er die Folgen solch wahnwitzigen Treibens absehen können: Wenn die Leitungen nun, was zu erwarten sei, dies böse Beispiel verallgemeinerten und künftig jeden kleinen Diplomer die Forschungskosten aus eigner Tasche würden bestreiten lassen, dann werde man sich bei Janno bedanken, und zwar ganz unmißverständlich; und Janno, aus dem Reich der abstrakten Probleme jäh in die des Alltags geworfen, ließ das Schräubchen abermals in die Waschschüssel fallen und fragte hilflos: „Was soll ich denn tun?“
Die Schräubchen in der verbeulten Waschschüssel blitzten.
Diesen — wie heiße er doch gleich — SAURITUS lösen, ohne die Kollegen zu ruinieren, erwiderte Jirro ungerührt, und gegenüber dem tapferen Einwand, daß dies nicht gehe, bestand er darauf: Es müsse gehn.
„Laß dir erklären“, bat, mit einem Blick auf den Stapel der Versuchsprotokolle, Janno fast schon wieder in jenem nachsichtigen Ton, den alle Arbeiter der Bewußtseinsinstitute den Realwissenschaftlern gegenüber ganz unbewußt anschlagen und den Jirro an Janno nicht ausstehen konnte, „laß dir erklären —“; und er erklärte: Er habe mehr als drei Dutzend Mal vom Element eins an aufsteigend einen Haufen errichtet, doch jedesmal sei die entscheidende Grenze des Umschlagens von einem Noch-nicht-Haufen zur neuen Qualität eines Haufens einfach nicht zu fassen gewesen: Solange er, unablässig in die Schüssel starrend, den Umschlagsmoment ja nicht zu übersehen, Schräubchen zu Schräubchen gelegt, habe er mit der langsam wachsenden Zahl der Elemente nur Elemente im Auge gehabt, ihrer acht, oder neun, oder zehn, oder siebzehn, immer einzelne Schräubchen und nie einen Haufen. Doch sobald er die ob solchen Fixierens bald schmerzenden Augen nur für einen Moment zur Seite gewandt, seien ihm, als er sie dann wieder auf die Waschschüssel gerichtet, die dort versammelten Elemente nun sofort als ein Haufen entgegengetreten, so daß also eine Umschlagsgrenze nicht — was jedoch einzig interessiere — im Objektiven der Quantitäten, sondern als ausschließlich im Subjektiven, im Ermüdungsgrad seiner Augen liegend erschienen, und dies ganz extrem zwischen einundzwanzig und sieben Schräubchen. Das nun habe ihn genötigt,
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