Saiäns-Fiktschen
das nunmehr geordnete Wasser langsam, gemessen, weihevoll, würdig die Möbiusschleife wieder hinanstieg, schritt, umstrahlt von der funkelnden Krempe, die, als ob alles Licht der Halle sich um das Schöpferhaupt versammle, immer gebieterischer zu leuchten begann, der Erträumer des Werks zu einem Becken am unteren Ende des Umwandlungstriebwerks, in dessen transparentem Rohr langsam das reine Wasser nahte, und dieses Mal mit eigenen Händen einen Hahn zum Grund des Beckens auftuend, sprach Moritz Cornelius Asher II. die Worte, die zugleich in flammend schwarzen Lettern an der Wand erschienen:
ES WERDE ORDNUNG!
ES WERDE REINHEIT!
DIE WAHRE ÄRA DES ALLS BEGINNT!
Und dieweil auf dem Grund des Beckens das Endprodukt zu erscheinen begann und das Tosen im Ordnungskessel in Orgelgedröhn hinüberschwoll, sprach er, im gleißenden Strahlenkranz und die eine Hand zum Zenit erhoben, indes die andre ins Becken zeigte, mit schlichter, wie Selbstverständliches referierender Stimme, es sei der Mikromechanik gelungen, ohne den geringsten Zusatz, nur durch dessen eignes Sich-Ordnen zu klaren berechenbaren Verhältnissen, bislang als rein angesehenes Wasser zu absoluter Reinheit zu läutern, zum eigensten Wesen seiner selbst: frei —
(und im Becken erhob sich, stoßweis quellend und durchdringenden Modergeruch ausdünstend, eine graue, schleimige Brühe)
frei von jeglicher Fremdbestimmung, für menschlichen Genuß und menschliche Nutzung vollkommen unbrauchbar zu sein.
(Nach einem Motiv von Alfred Jarry)
DIE STRASSE DER PERVERSIONEN
Für Klaus Schlesinger
Als, vielbeneidet, der Diplomneutrinologe Jirro im Rahmen eines wissenschaftlichen Austauschprogramms für siebzig Wochen Uniterr verlassen und in Libroterr weilen durfte, schlenderte er nach den Mühen des Tages gern, gleichgültig in welcher Stadt, die Rückseite der Magistrale, in der Hauptstadt die des Großen Ringes entlang: nicht nur, weil ihn dort keine Fangwerbung behelligte (es war dies eine in Uniterr unbekannte, in Libroterr übliche Art erpresserischen Bauernfangs, durch eine jähe optische Sensation, etwa die Spiegelung eines leibhaftigen Pferdes, den Blick Unerfahrener anzuziehen und sie — gewöhnlich Touristen — dann mit der Frage, ob man Gefallen an dem Gezeigten gefunden, bei Bejahung zu einem Entgelt zu nötigen, das zu verlangen oder gar zu erzwingen es keine gesetzliche Handhabe gab und das dennoch, da den Betroffenen vor lärmenden Disputen graute, meist widerstandslos entrichtet wurde; die einfachste Art, dieser Lästigkeit zu entgehen, war Nichtbeachtung oder ein Nein).
Also nicht nur deshalb, oder aus ähnlichen Gründen (die Magistralen wimmelten von vielerlei Gaunern), mied Jirro die Fassade von Libroterrs Straßen: Es entging ihm dort auch ein Hörtheater, das ihn wie kein anderes faszinierte, wie kein anderes seine Phantasie anregte und dazu noch nicht einmal Eintrittsgeld kostete: die Synakustik von Libroterrs Fernsehn. Das nun pflegt man im Wohnzimmer zu empfangen, und man wohnt ja, zumindest in Libroterr, schon längst nicht mehr zur Fassade hinaus, dort werden die technischen Räume liegen: Fahrstühle, Rollkorridore, Toiletten, Zuliefer- und Abraumschächte, Physio- und Psychoklimaanlagen und die Einfahrten für die Hubschraubertaxis, deren Surren doch recht störend wirkt. Sich am Fenster zu zeigen ist nicht ungefährlich; den Blick auf Paraden, Raubüberfälle, Entführungen, Sporte und andre Sehenswürdigkeiten liefert das Nahinformationsvideo um vieles prompter, exakter und augengünstiger als eigener Ausblick, und so wohnt man zum ruhigen Hinten hin. Und da dort, wo man wohnt, die Fernsehapparaturen montiert sind, und da sie auch zur Nacht nicht abgestellt werden, und da — worüber Jirro nicht aus dem Staunen herauskam — es in Libroterr einige zehntausend Fernsehsendeanstalten gegenüber der einen Uniterrs gab (denn auch die mit ihren jeweils drei Wochenstunden Lokalprogramm von Uniterrs Statistischem Rat noch immer als „selbständig“ geführten neun Regionalsender Liechtenstein, Schliersee I und II, Vatican, Nanking, „Stimme der Antarktis“, Nagyszentbalatonhúzenketökisvasarhelyifüröd, Uganda und Gizeh sind ja im berühmten Verschmelzungsjahr 2001 dann sehr schnell zusammengelegt worden und schließlich — Schliersee I als letzter 2054 — im Einheitssender „Freies Uniterr“ aufgegangen) —: da es also in Libroterr mehrere Fernsehprogramme gab und diese — in Libroterr natürlich! — allerorten empfangen
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