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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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von Wipfeln, und drunten nun Faustschläge auf eine Stahlwand, dumpf im Korridor widerhallend, durch den, und darüber Rasen des Beifalls, die anderen, die dröhnenden Schritte nahen; der Beifall bricht ab; nur das Sausen des Himmels, das, ins Unerträgliche wachsend, endlich einen Schrei entbinden muß, und der Schmelz einer betörenden Stimme: STEIG EIN IN MEIN TRAUMBOOT STEIG EIN STEIG EIN.
    Das Weitere, in Einzelstücke auseinanderfallend, war als Gemengsel unwesentlich: ein zweiter Schlager und eine Werbung für Airspray und ein Gespräch über Türen und Hunde und noch ein Schlager und noch irgendwelche Wörter und Donner oder noch was —: Jirro lernte sehr schnell begreifen, daß alle Konstellationen, die ihn faszinierten, dies als Illusion
einer
Handlung taten und darum nur von kurzer Dauer sein konnten; diese hier hielt im Verhältnis zu anderen bereits lange an. — Eine nächste Kombination war dann wesentlich kürzer: ein Wellenrauschen, weithergezogen ins Überschäumen der Brandung mündend, und aus einem Fenster gegenüber das Stöhnen zweier koitierender Leiber exakt im Rhythmus des rollenden Meeres, und plötzlich das Gebrumm eines Nebelhorns. — Solche Gleichklänge, gar humorvolle, waren selten; am häufigsten, eigentlich alltäglich und die überwältigende Mehrheit aller Konstellationen ausmachend, kehrten Zusammenpralle und Überlagerungen der beiden Grundmuster wieder, etwa das Brüllen Gefolterter zum Schmachten eines Liebesliedes. In der erstgeschilderten klang dies ja schon an.
    Im Verfolgen einer äußeren Entwicklung entging Jirro die innere. Es dauerte nämlich nur kürzeste Zeit (Jirro kam nie zum Bewußtsein, wie kurz sie gewesen), bis er die krassen Obszönitäten, und krassen Brutalitäten, und krassen Monstrositäten, deren allgegenwärtige Inständigkeit in Libroterr ihn anfangs bestürzte, als dermaßen selbstverständlich hinnahm, daß er sein biederes Vaterland darüber vergaß, wie man im Wachsein Geträumtes oder als Erwachsener seine unmündigen Jahre vergißt. — Aus den Augen, aus dem Sinn — wie man so sagt? Auch, gewiß; und andere Sorgen; doch es war nicht nur so, daß die Erinnerung ausblaßte, sie verband sich dabei mit dem Gefühl, aus einem Reich des Irrealen ins Wirkliche hinübergewechselt zu sein. — Freilich: nur Gefühl, keine Reflexion. Daß mit all seinen Abnormitäten Libroterr zu Uniterr ihm als das Normale (vielleicht: Gemäße?) und Uniterr als Schemen erschien, darüber dachte Jirro nie nach; er ahnte nur manchmal, daß da ein Problem war, etwa wenn er sich bei einem Lachen über groteske Grausamkeiten ertappte. — Dann mitunter auch Scham; eine Art Aufbegehren, und dann allerdings auch verblüffend heftig.
    Einmal allerdings kamen Jirro doch Skrupel: Er lief wieder einmal hinterm Großen Ring; diesmal, vielleicht zu einem Rendezvous unterwegs, in ziemlicher Eile, er nahm das Hörangebot nur so im Vorbeigehn — gewohnheitsgemäß, mit halbem Ohr — wahr, da alarmierte ihn ein Geräusch. Es war ein böses, durchdringendes Zischen, wie wenn aus einer lecken Psychoklimaanlage das unter enormem Druck stehende hochgiftige Hypnocyanamylnitrit ausströmt, und wären die üblichen Dialoge nicht gewesen, darin ein Opfer einen Überwältiger anfleht, ihm statt dieses gräßlichen Todes ein schmerzloses Zerstrahlen zu gönnen, hätte Jirro an eine reale Katastrophe geglaubt. — So war es nur ein Kriminalfim (328. Folge der in der Hauptstadt allerdings wenig bekannten Serie „Was auch dir heute nacht noch zustoßen kann“), und wider Willen mäßigte Jirro den Schritt. Der Foltertod durch Gas war ihm neu, doch wiewohl er dies war und Jirro nur hörte, stand ihm jedes Detail vor Augen, denn der Mörder schilderte höhnend dem Opfer, das sich offenbar in einem Glaskasten befand, welcher Anblick sich ihm bot, und zwar in dem Grad, in dem das Gas seine Schuldigkeit tat. Es ist nicht nötig, die Details weiterzugeben; was Jirro hörte, war eine minutiöse Beschreibung der sich bis ins Weiße verdrehenden Blicke und eines in Krämpfen sich wölbenden Brustkorbs, darunter die Lunge in dem Maß gieriger ihr Verderben in sich hineinsaugen muß, in dem es sie zu zerstören beginnt. — Das wurde als Augenweide geschildert, und Jirro, wiewohl ihn ein Gemisch von Grauen, Gebanntsein und Würgen ankam, blieb stehen und sah hörend die Szene und sah, obwohl es dafür kein ausreichendes Indiz gab, das Opfer in Gestalt einer Frau; er hörte die Stimme des Mörders

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