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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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Diplomkausalitätler Pavlo sich noch des Studiums der Kausalitätswissenschaften befliß, kam, wie es so kommt, ihm eines Morgens der Einfall, daß die Gesetze der Kausalität auch in der Geschichte der Menschheit hervortreten müßten, und er beschloß, was damals noch möglich war, über sein Pflichtpensum an Philosophiedisziplinen und Staatsbewußtseinsertüchtigung hinaus einige Geschichtsvorlesungen als Gast zu belegen. Er wählte einen Vortragszyklus über die Rechtsentwicklung im europäischen Hochmittelalter, weil er sich viel von einer Epoche versprach, in der ein so eminent kausales Denken wie das lateinische sich in einer gänzlich anders strukturierten Umwelt als Römisches Recht zu entfalten begann.
    Anfangs war er arg enttäuscht: Der Dozent verlor sich in Einzelheiten lokaler Tradierungen und Sitten; sein Vortrag war zäh, der Stoff war es nicht minder, statt Kausalketten wurden nur Wirren sichtbar, und Pavlo gedachte schon abzuspringen, da kündigte der Lektor für die nächste Stunde eine historische Okulardemonstration mit Hilfe des Zeitzeigekastens an. Dieses Gerät war damals noch in der Erprobung, sowohl technisch als auch politisch: Der Oberste Kameradschaftsrat von Uniterr ließ, einen Beschluß über die Zulassung solcher Demonstrationen an Schulen, ja sogar, wie einige Ratsmitglieder es träumten, zur belehrenden Volksbelustigung zu fassen, die Auswirkungen dieses Instruments auf ein ausgewähltes Publikum studieren; daß der Rat dann von jeder öffentlichen Schaustellung Abstand nahm, ist, wie man weiß, im wesentlichen der Erfahrung ebendieses Erprobens im historischen Seminar zuzuschreiben.
    Technisch beruhte das Gerät auf der simplen, aber damals noch einzigen Methode, das ins All ausgestrahlte Licht vergangner Epochen durch superschnelle Gravitationswellen zu überholen und mit wachsender Beschleunigung zurückzuspiegeln, so daß der Augenschein vergangener Zeiten (wieder auf Lichtgeschwindigkeit verlangsamt) sich in einem Projektionsraum der Gegenwart als eine Art Filmbild revisibilisierte — dreidimensional, farbig, allerdings damals noch tonlos: Ein Verfahren, die ja jedem Lichtstrom angeprägten Schallwellen abzufiltern, zu entzerren und hörbar zu machen, wurde erst wesentlich später erfunden, ebenso ein analoges Verfahren zur Wiedererweckung von Gerüchen, doch damals, in Pavlos Studententagen, war jede Zeitspiegelung, wie unvollkommen auch immer, noch eine solche Sensation, daß Eintrittsbilletts beinah so hoch wie die zu Boxmeisterschaften gehandelt wurden.
    Seit Ankündigung der Okulardemonstration war das Auditorium denn auch von Neugierigen aller Fakultäten und die Universität von Laienscharen belagert, doch die Campuspolizei ließ nur Stammhörer ein und fragte betreffs Pavlos oben nach; dessen makelloser Loyalitätszeugnisse und auch vorzüglicher Studienergebnisse halber entschied schließlich — wenn auch nicht ohne Bedenken — das Ministerium positiv.
    Zur Demonstration gelangte die berühmte Episode des Duells zwischen dem normannischen Seegrafen Henri VII von Traulec und dessen mit einer Magd gezeugtem, als Bastard unebenbürtigem Sohn Toul, eben jenes Duell vom Mai 1409, von dessen Ausgang wir nur wissen, daß er „höchst grausam“ gewesen sei. Zustande gekommen war es dadurch, daß — als Graf Henri die Klage des Sohnes gegen eine lebenslange Bescheidung zum Schweinehirten in den väterlichen Suhlen als eigner Gerichtsherr zurückgewiesen — die Favoritin des königlichen Intendanten, Jeanne Viole du Mars mit Namen, den durchaus alltäglichen Richtspruch des Grafen zum Anlaß nahm, das Gerücht auszustreuen, Toul habe, was ihm als Halbblut zukam, den Grafen ob des Bescheids zum Duell gefordert und der Graf sei aus Feigheit abgestanden, worauf der Toul, schon unter des Vaters Schweinen, das ihm in die Ohren geblasne Gerücht auf der Stelle realisierte und durch zwei Ehrenvertreter, übrigens Schweinehirten wie er, seinen Erzeuger tatsächlich fordern ließ, der nun schlecht anders konnte als sich zu stellen, unter der Maßgabe allerdings, daß, wie das geltende Recht es gebot, die Bedingungen für die Duellanten den unterschiedlichen Bürtigkeiten entsprächen, dergestalt, daß der Minderblütige, bis zu den Hüften in einem Erdloch steckend, als Waffe einen Spieß und einen Knüppel führe, der Vollblütige hingegen sein scharfes Schwert, und dies ohne Einschränkung freien Bewegens.
    An der Klausel war nicht zu rütteln; ob die Jeanne Viole sie

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