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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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verschließt, die ja weiterhin die Schlucht durchkreuzen, auch der Würdigung von moralischen Werten und denkt nicht an sein Vaterland.
    Ein früher Vormittag; rosa Dämmern, und Jirro schwelgt in Erinnerungen: Da, aus dem grünvioletten (in Libroterr waren Fenster und Türen von einem Lichtstrahlgewebe verschlossen, das nur von innen nach außen durchlässig war) Fenster jener erste, so mißverstandene Schrei; von dort aus dem goldenen Oben der Donner; da links das Schmatzen der Skelette; und so selbstverständlich es sein mag (oder auch nicht), daß Jirro am Schauplatz der ärgsten Szene rasch, beinahe im Laufschritt, vorbeigeht, so merkwürdig bleibt es (oder auch nicht), daß er dort, wo die Erinnerung an die Schritte des Flüchtlings wiederkehrt, solchermaßen in sich versinkt und sich, da er nun die real nie geschauten und darum um so lebhafter imaginierten Bilder ja auch nicht mehr real hören kann, ganz der inneren Sicht hingibt —: daß ihm ist, als haste er selbst durch den Tunnel und der Verfolger hinter ihm drein. Er sieht die Wände aus grauem Beton, die niedrig gezogene Decke, die Sperrwand, er sieht ein glasig tropfendes Licht, und er sieht auch die beifallklatschende Menge wie hinter Schleiern aus wehendem Eisen —
    da geschieht es, daß eine vertraute Stimme ihn jählings aus einem Fenster anruft und er wie einst bei dem Fahrradklingeln, doch nun fast zum Tod, zusammenschrickt. Einen Augenblick steht er ohne Bewußtsein, mit den Händen an eine Mauer gestützt; dann bricht der Alltag Libroterrs ein: surrender Lärm der Hubschraubertaxis, aus den Fenstern Geigen und sanfte Schreie, und begreifend, daß jener Anruf nicht ihm galt, plagt Jirro sofort die andere Frage: Wer wählt denn in Libroterr Uniterrs Fernsehn? Ist es jemand, der auch den Weichen Sommer nicht mag? Ist es ein Zufall? Oder ist es —
    und Jirro bleibt stehen, gebannt von der nicht zu verkennenden Stimme der beliebtesten Schauspielerin seines Landes, eines der wenigen weiblichen Mitglieder des Obersten Befreitheitsrates, Trägerin allerhöchster Orden, Vorsitzende des Rates der Theaterarbeiter, geniale Verkörperin des Denkens und Fühlens von Uniterrs Besten, Essenz also jenes Menschentums, das vor allen Verkehrungen zu behüten Uniterr als heiligste Sendung ansah: „Seele der besseren Hälfte dieser Welt“, wie Uniterrs Presse sie nennt; und Jirro hört sie jenen Satz aus einem Weiheschauspiel sagen, den kein Geringerer als der Führer des Obersten Befreitheitsrates zum „schönsten Ausdruck von Uniterrs welthistorischer Sendung“ erhoben, den Satz, den jeder Bürger Uniterrs kennt und den Jirro im Traum hinsagen könnte —
    und im Traum, beim vertrauten Klang dieser Stimme, ist Jirro schon in der Heimat, sie steigt vor ihm auf, wie er sie verlassen: der Tunnel tief unter Uniterrs Grenze, den als einer der Erwählten passieren zu dürfen er so unsagbar stolz gewesen, und er sieht die Wände aus grauem Beton und die Automatik der kunstvollen Sperren, die, je nach Bedarf, den Tunnel verschließen, oder verengen, oder in ein Labyrinth verwandeln, oder Falltüren zum Abgrund öffnen können; und er sieht sich langsam den Gang hinabgehn, noch die Worte der Kameraden Grenzhüter im Ohr, eingedenk Uniterrs Sendung zu bleiben; doch da dies in der Straße der Perversionen geschieht, geschieht dies alles zur Verkehrung: just eben, da er sein Vaterland schaut und jenen vertrauten Satz vernimmt, durchschießt Jirro jählings der Gedanke, daß er ja einfach hierbleiben könnte: in diesem Land, in dieser Stadt, in dieser Straße, und da steht er abermals ohne Bewußtsein —
    und der Verkehrung einen Augenblick fast bis zum Erliegen hingegeben, hört er den Satz zu Ende gesprochen und hört ihn im Lärmen von Libroterrs Alltag, und plötzlich erscheint ihm dieser Satz als das Ärgste des in dieser Straße Erfahrenen: KAMERAD UND SOLLTE ES JAHRE DAUERN WIR WERDEN SO LANG MIT DIR DISKUTIEREN BIS AUCH DU ÜBERZEUGT WORDEN BIST —
    und Jirro, aus seiner Ohnmacht erwachend, hört den stählernen Klang der vertrauten Stimme und weiß nun wie aus einer Offenbarung, daß sie ausgestrahlt wurde, mit ihm zu reden, mit ihm in der Stunde der ärgsten Verwirrung, und tief am Grund der dämmernden Schlucht, darüber sich kein Firmament wölbt, ist ihm, als ob ein Auge ihn sähe und seine geheimsten Gedanken läse, und so schnell, wie er kann, rennt er in seine Wohnung, und packt seine Sachen, und ist bereit.

DAS DUELL
    Als der spätere

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