Saiäns-Fiktschen
Pavlo ist von einem Gefühl ergriffen, das zu benennen er keine Worte hätte; und darin ist schon alles Kommende da.
Was Pavlo fühlte, war eine Erwartung, zerrender als alle bis dahin gekannte und auch von gänzlich anderer Art als das Gefühl, das dieser Begriff sonst deckt: Es war nicht die Erwartung des Vorhergewußten (mit der etwa ein Kind sein Märchen erwartet), sondern die eines gänzlich Neuen (wenn groteskerweise auch eines Vergangnen); eines Ungekannten also, das nicht Ungekanntes im Sinne eines für den Ereignisfall noch nicht Festgelegten aus einem Vorrat an Geläufigem war, sondern ein dem Betrachter absolut Unbekanntes oder, um es endlich exakt zu fassen: die Möglichkeit solch eines Unbekannten. Sie trat nicht als Begriff ins Bewußtsein: Sie war ja in einer Notwendigkeit, die sich als das notwendig Alternativlose dargab, etwas, das gar nicht gedacht werden konnte, und dennoch machte sie Pavlo erzittern. — Ihn allein? — Wir nehmen es an; wenn es nicht so gewesen sein sollte, stehe er als Beispiel für die Schar Seinesgleichen. Doch es geschah ihm wohl tatsächlich allein.
Das Schnurren der Oszillatoren brach ab, oder besser: es ging in ein Hallen über, das, an der Grenze von Hörbarem schwingend, zwar nicht als Eigengeräusch vernehmbar, doch auch nicht leere Lautlosigkeit war. Wir sagten bereits, daß die Demonstrationen damals, technisch noch unausgereift, des Originaltons ermangeln mußten; das Hallen, trotz seiner Unhörbarkeit, bildete eine Geräuschkulisse, vor der die beklemmend spukhafte Stummheit der Geschichte ihr Geheimnis zu sagen anhob. Es wurde, dies Hallen, als Stille vernehmlich, positives statt negatives Nichts; und mit dem Hallen war auch das Geflirr nicht mehr sichtbar, oder wiederum exakter: es wurde nicht mehr wahrgenommen, da nun, in unvorstellbarer Jähe, das Vergangene über der grauen Plattform erschienen war und sich schon vollzog —: Unter dem Stahl eines Quaders von Nordmeerhimmel tausendköpfiger Tumult, so lagerte die Jahrtausendferne auf dem Katheder, und da schraubten schon, während draußen die Operateure an den Zeitstromkameras sich mühten, die günstigsten Totalen zu finden, die Zuschauer an ihren Vergrößerungstuben, das ihnen erwünschte Detail einzustellen. Die Kameras, die vom Tumult verdeckten Duellanten in den Blick bekommen, schwenkten in einen anderen Winkel; das Gewimmel brach auf. — Wir erzählen jetzt alles, wie Pavlo es sah.
Einen Augenblick schaute er die Totale: Wie ungeheuer doch Himmel ist! Eine ragende Last aus Wetter und Bläue; darunter, ihr Saum, das Menschengewese, doch in so buntverschlungenem Strudel, daß es unter der ziehenden Schwere standhielt und deren Gewalt erst sichtbar machte: im Wechsel beharrende Ewigkeit; die Feste über den flüchtigen Leben. Da schwenkten die Kameras herum, Pavlo sah Farben und Schwere im Wirbel; nun schraubte auch er an seinen Gläsern, und im Wachsen wie aus der Drehung des Bildes trat die Dame vor seinen Blick.
Sie stand vor ihm, und Pavlo stockte der Atem. Er sah sie, als spüre er ihren Anhauch; sie nahte, ein wenig zur Seite gedreht, in umbragesäumtem meergrünem Brokat, aus dem wie die Insel der Sirenen vom Ansatz der Brüste Hals und Haupt stiegen; der Scharlach der Haube stach in den Himmel, und in ihren Augen ruhte die Nacht. Sie kam auf ihren Betrachter zu; Pavlo glaubte die Milch ihrer Haut zu fühlen; er sah, als brauche er keine Gläser als Mittler, die Dame leibhaftig vor seinen Sinnen, und sie zerglitt über sein Gesicht. Hinter ihr durch den Staub eine Zwergin; sie rannte schreiend der Herrin nach. Riesig das nasse Fleisch ihrer Zunge; Pavlo rückte das Rohr; ein Eselshuf.
Jetzt faßten die Kameras die Kämpfer: Der Rücken des Seegrafen, der, breitbeinig tänzelnd, die dem Adel vorbehaltene Tracht des Jahrhunderts, das hochberühmte Mi-Parti trug: ein im Vorder- wie Rückenteil je in zwei Farben, hier Grün und Schwarz, gevierteltes Wams mit einem bauschigen und einem schmalen Ärmel, und ebenso geviertelt die engen Hosen und die spitzgekrümmten Schnabelschuhe mit ihren ohrgroßen grün-schwarzen Troddeln, und grün-schwarz, Banner von Traulec, auch die Feder auf dem roten Barett. — Das Schwert, an langem Gehäng, sprang durch den Staub. — Schräg nach hinten die Grube, und drin der Toul, bis zur Hälfte in der krumigen Erde, die so braun war wie sein Warzengesicht mit der ungeheuerlichen Nase, die in ihrem überquellenden Fleisch eine Verhöhnung von Gottes Schöpfertum
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