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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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Kontrolleure vor den nun wieder ruhigen Skalen, die, da Jeanne Viole vor der Grube gekauert, wie ein fiebernder Himmel im Blaulicht erzittert, atmeten auf, und während die Kämpfer über den Leib von der Stirn bis zum Nabel ehrfürchtig das Zeichen des Kreuzes schrieben, sprach, seine Hände dem Volk wie zum Kuß hinbreitend, der Intendant wohl die Eröffnungsformel Ad te in excelsio domine clamavi; sie ist ja bekannt. — Auch seine Finger blitzten Bläue: eine Saphirkuppel, Türkise, Opale, ein Amethyst über schmalem Goldtal, der Hochmut eines Aquamarins; hinter ihm das königliche Blau um die Lilien seines wahnsinnigen Herrschers. Auch die vier Kampfrichter, die nun die Arena besetzten, schritten in tiefes Blau gekleidet, Türme des Glaubens an Sitte und Recht. — Lößbraunes Kampffeld; grün-schwarz der Seegraf; das Gesicht des Toul gleich der nahen Erde; die Menge in tausend Farben verflochten, und durch den Scharlach drang das Schwert. Der Seegraf stemmte es in den Himmel, mit beiden Händen, aus dem gebauschten und dem enganliegenden Ärmel, jeder grün-schwarz geviertelt wie Wams und Hose, zwischen deren Grün-Schwarz in ungeheuerer Wulstung der Granatapfel der schellengesäumten Braguette, der aus sieben Tuchen gewobenen Schamkapsel, lag. Da er das Schwert erhob, bog er sich weit zurück; er hielt den Stahl mit gestreckten Armen, und Pavlo meinte in der Krümmung des Rückens das Schloß von Traulec aufschimmern zu sehen, das — wie Schwärmer späterer Zeit es nannten — gezinnte Wunder des Abendlandes (das dann doch in der nur vier Millisekunden dauernden Atombefriedigung der Rebellen von Saint-Lô zerschmolz).
    Da das Duell sich zu beginnen anschickte, waren die Blaulichtsignale im Kontrollraum erloschen; die Zuschauer bebten zwar in Spannung, doch ihr Erwarten verlief in gewohnten Bahnen, die Erregung floß in dem Maße ab, in dem sie sich reproduzierte, und sie tat dies auf die übliche Weise: Man wechselte die Haltung, schlug das andre Bein über, räusperte sich, lachte, auch Scherzworte erschollen, Anfeuerungen der Kämpfer, kleine Vertraulichkeiten zu den Personen des fernen Jahrtausends, die man an den Schrauben sich näher drehte, und auch da, wo sie äußerlich unartikuliert blieb, baute die Spannung sich voll im Bewußtsein ab. Sogar aus Pavlos Ecke drang nun nichts Beunruhigendes mehr (die Emotiographen gestatteten natürlich die Lokalisierung auftretender Ärgernisse; vor den Kontrolleuren lagen Sitzpläne, und beim ersten Aufzucken des Blaulichts hatten sie prompt reagiert: Also doch dieser Neue!), und so gaben auch sie, die Kontrolleure, fast unbesorgt der Schaulust sich hin. Es mag an eingefleischter Gewohnheit liegen (oder sollte man besser „eingehirnter“ sagen?), daß sie mehr noch als die Kämpfer die Menge betrachteten, die vor der Würde der Tribüne gegen die Hellebarden sich drängte: farbderbes Gepränge, Leder und Barchent, rauhe Pelze, pralles Leinen, die Leiber von riesigen Gürteln umzingelt, die Hörner der Hauben ineinander verkeilt und die Gesichter in offenen Freuden schwelgend. — Den Kontrolleuren mißfiel, daß sie Waffen trugen, lange Messer oder kurze Schwerter, einige auch breitklingige Spieße, einige sogar Armbrust und Köcher mit einem Bündel gefiederter Pfeile; es sah zersetzend und schamlos aus. — Manche aßen zu ihrem Gaffen, ein Weinkrug schleppte sich durch die Runde; den Kontrolleuren mißfiel auch dies. — Was sie freute, war die erhabene Haltung des Seegrafen, der da immer noch unter der Macht seines Stahls stand; den Toul im Loch schauten sie kaum an.
    Er stak braun in der braunen Erde, in der Linken den Spieß, in der Rechten den Knüppel, und starrte zur Tribüne hin, darauf sich nun um den Vertreter der Krone Silberbrokat und Seide scharte; zur Linken des Intendanten noch eine Lücke, und Pavlo, der Touls Augen gefolgt war, erwartete wie jener, daß die Dame auf der Tribüne erscheine, in der Milch ihres Fleischs und der Haut des Meeres, und mit dem verborgenen Gespinst aus Gold. Der Scharlach war vom Himmel verschwunden, den beherrschte noch immer das ragende Schwert; durch die Schleife des Wetters schossen Möwen, und Pavlo begehrte über alles, die Jeanne Viole noch einmal zu sehn.
    Das Duell interessierte ihn längst nicht mehr, nicht die Zeremonien um den Intendanten noch die Rituale um die Kämpfer, und vor dem Gewog der Farben des Volkes erinnerte er die unfühlbare Berührung, da sie über seinem Gesicht zerglitten, gefolgt von der

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