Saigon - Berlin Thriller
verraucht. Kein Schneefall mehr. Blauer Himmel. Der Motor sprang klaglos an. Das Markensymbol auf der Haube fehlte tatsächlich. Ich schaltete die Klimaanlage zu. So kam die Wärme schneller.
»Na? Das spielt sich ja langsam ein, dass hier mal Termine eingehalten werden.«
Es war eine andere Stimme am Autotelefon als die, die ich aus den Lautsprechern in diesem SM-Etablissement gehört hatte.
»Wie geht es meiner Tochter? Sonst lege ich sofort wieder auf und fahre in den Westen zurück«, grummelte ich. Mir war kalt. Der schlechteste Kaffee war mir momentan lieber, als in einem Auto zu sitzen, das nicht auftauen wollte.
Die Modulation der Stimme veränderte sich. Sie klang verzerrt oder künstlich. Und plötzlich deutlich höher. Beinahe fistelnd.
»Deiner Tochter geht es gut. Solange sie ihren Stoff bekommt. Aber den entziehe ich ihr, wenn du nicht machst, was ich will. Dann findest du sie auch in der Spree, und du bist wertlos für mich. Also entscheide dich: für oder gegen sie. Du hast den Stoff, um ihr helfen zu können. Von mir bekommt sie ab sofort nichts mehr, bis du den Auftrag erfüllt hast. In einer Stunde rufe ich dich wieder an. Dann will ich deine Antwort, und ich verbinde dich dann mit deiner lallenden Tochter, die schon unter den ersten Entzugserscheinungen leiden dürfte.«
Das Gespräch wurde abgebrochen.
Ich war völlig gelähmt. Starrte durch die langsam auftauenden Fensterscheiben auf eine Gegend, die mich an das Ruhrgebiet kurz nach dem Krieg erinnerte. Der Schnee kaschierte es mehr schlecht als recht. Marode Hausfassaden so weit mein Blick reichte.
»Und?«, fragte Ewald und legte die Stirn in Dackelfalten.
»Das Zeug hier ist für meine Tochter.« Mehr zu sagen war ich nicht in der Lage.
Ewald grübelte. Schenkte Kaffee nach.
»Das ist aber eine ziemliche Scheiße. Der Unbekannte hat dich damit in der Hand.« Einen Moment überlegte er und spülte das Geschirr ab. »Hat er gesagt, was er damit bezweckt?«
»In einer Stunde muss ich mich entschieden haben. Frag mich nicht, wofür. Auf jeden Fall für oder gegen meine Tochter«, murmelte ich und schlürfte den schlechten Kaffee. Das Telefon im Flur gab einen blechernen Laut von sich. Ewald nahm den Hörer ab. Sagte nicht viel, nickte und legte wieder auf.
Er schenkte Kaffee nach. Ein Gebräu, von dem nur die Blase wach wurde.
»Ich hab mich mal umgehört. Unter Kollegen, wenn du verstehst, was ich meine. Über das Sans Soucis.«
Seine Finger trommelten nervös auf das Plastiktuch über dem Küchentisch. Etwas passte ihm nicht.
»Ich höre. Aber bitte keine weiteren Probleme.« Meine Gedanken waren ganz woanders.
Ewald schob die Lippen vor. Die Asche seiner Zigarette gehorchte der Schwerkraft.
»Ja ...«, murmelte er und wischte die Krümel von der Plastetischdecke. »Was soll ich sagen? Dieses Etablissement namens Sans Soucis gibt es nicht.«
»Wie bitte?«, schnappte ich. »Das darf doch wohl nicht wahr sein. Phong und ich waren dort. Was wird hier gespielt?«
Ewald atmete tief durch und hantierte in der Küche herum.
»Wie soll ich das einem Westdeutschen erklären? Es ist nun mal so.«
Er starrte in seine leere Tasse. Ich umrundete den Küchentisch drei Mal. Bis es ihm zu bunt wurde.
»Setz dich gefälligst hin. Mit einem Sputnik kann ich nicht reden. Du machst mich ganz nervös.«
Ich setzte mich.
»Ich habe meine Tochter, die Freundin deiner Tochter, verloren. Also halte mich nicht für einen Blödmann. Ich bin genauso daran interessiert zu erfahren, was geschehen ist. Aber ...« Ewald drehte die Tasse in den Händen. Seine Backenmuskeln arbeiteten. Die Finger bewegten sich unruhig.
»Aber was?« Meine Nervosität nahm zu. Ich lebte nur noch für den nächsten Anruf.
»Aber ...«, begann er sehr leise, ohne mich anzusehen, »ich bin nur ein kleiner Grenzer, der, wenn hier alles zu Ende ist, seinen Posten verlieren wird. Und was danach passiert? Ich weiß es nicht. Ihr Westdeutschen habt mit unserer Vergangenheit noch ein paar Hühnchen zu rupfen.«
Ewald kramte im Küchenschrank. Es sah hilflos aus. Er holte ein Fotoalbum hervor, legte es fast andächtig auf den Tisch und drehte es zu mir hin.
»Sieh es dir an. Vielleicht verstehst du dann einiges.«
Er rauchte und schwieg. Ich blätterte. Es waren uralte Fotos, die von Klebeecken an ihrem Platz gehalten wurden, deren Beschichtung teilweise schon in Verwesung übergegangen war.
Es war die Geschichte einer Familie. Soldaten, nichts als Soldaten. Mal in der
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