Saigon - Berlin Thriller
erfahren, informiert waren? Aber wen hatte ich sonst noch? Hier im Osten? Und Ewald hatte seine Tochter bereits verloren. Was sollte ihn noch erpressbar machen? Er besaß nichts mehr, nur seine alte Wohnung und seine Ehre. Er war ein aufrechtes Schlitzohr, das nach der Maueröffnung plötzlich zwischen alle Welten geraten war. Es war besser, ihm das Gespräch zu schildern, bevor auch er noch in irgendeine Falle lief.
Er hatte zugehört, ohne Fragen zu stellen. Nur beständig mit dem Kopf genickt. Seine Finger trommelten unablässig auf die Tischplatte.
»Na schön.« Er richtete sich auf. Schob das Koppel zurecht. »Wir haben einen oder mehrere Verräter in unseren Reihen. Die Mafia zahlt besser als der Staat. Das war zu befürchten. Komm, ich fahre voraus, damit du den Grenzübergang Chausseestraße pünktlich überqueren kannst. Das ist doch eine ganz miese Sorte von Gangstern. Die testen nicht unsere Kontrollen. Die wollen wissen, was sie einem Wessi zumuten können.«
Ewald knatterte mit seinem Wartburg voraus. Ich folgte im Schritttempo. Der Wagen fühlte sich irgendwie schwammig und schwerfällig an. So, als hätte ich ein paar hundert Kilo mehr an Bord. Aber der Kofferraum war leer, wie ich festgestellt hatte.
Ewald hielt kurz vor dem mit Panzersperren gespickten Grenzübergang Chausseestraße an und stieg aus, um bei mir einzusteigen.
»In deinem Wagen ist es wärmer«, meinte er und rieb sich die Hände. »Du hast noch fünfzehn Minuten, wenn die Zeit stimmt, die dieser dubiose Anrufer genannt hat.« Er zündete zwei Zigaretten an und reichte mir eine.
»Du kommst am besten wieder über den Grenzübergang zurück, den du kennst. Ich schiebe da heute Dienst. Da wird dir diesmal niemand mehr Fragen stellen.«
»Und wenn ich nicht zurückkomme?«
Der Grenzer sah mich an, als habe ich eine Kriegserklärung ausgesprochen.
»Spinnst du? Du hast deine Tochter noch nicht wieder. Die wirst du hier wohl nicht verrecken lassen, oder? Du kommst zurück und wohnst vorerst bei mir. Du wärst ein schlechter Journalist und ein noch schlechterer Vater, wenn nicht. Außerdem ...« Er stieg aus. »Du hast ein dickes, schweres Problem. Auch wenn dieser Luxusschlitten einen Niveauausgleich hat, er liegt verdammt tief.« Er schlug die Tür zu.
»Moment, was soll das heißen?«, brüllte ich ihm nach.
Ewald drehte sich kurz um. »Frag nicht. Ist besser, wenn du es nicht weißt. Auf unserer Seite wird dich niemand aufhalten. Fahr einfach langsam durch und halte deinen Pass hoch. Wir sehen uns.« Dann knatterte sein Wartburg in die Stadt zurück.
Ein dickes, schweres Problem? Hatte man mir den Wagen etwa beladen, während Phongs Leute auf ihn aufgepasst hatten? Ich durfte nicht daran denken, was es sein konnte. Es gab jetzt kein Zurück mehr. Die verzerrte Stimme hatte nur gesagt, dass ich nach erfolgreicher Grenzpassage weitere Anweisungen über das Autotelefon erhalten würde. Ich wurde von ihm oder seinen Leuten beobachtet. Anders konnte er nicht wissen, ob und wie erfolgreich ich die Grenzen passiert hatte. Wenn überhaupt.
Ewalds Andeutung ersparte mir die Heizung. Ich kam ins Schwitzen bei dem Gedanken, dass der Wagen in allen Hohlräumen mit Rauschgift vollgestopft worden war. Phong. Er hatte den Schlüssel über Nacht behalten, den ich heute Morgen auf dem Küchentisch gefunden hatte. Ich war wirklich ein Schwachkopf. Das war alles eingefädelt. Auch, dass man ihn niedergeschlagen und in den Kofferraum gesperrt hatte. Woher konnte er sonst das Sans Soucis kennen, wenn es das für die Behörden nicht offiziell gab? Oder logen die Behörden? Waren alle von der Mafia geschmiert?
Im Schritttempo umrundete ich die Betonsperren. Die Grenzer standen in der Sonne. Rauchten. Einige hatten ihre Kalaschnikows umgehängt, als gäbe es hier noch etwas zu verteidigen. Ich hielt meinen Pass aus dem Fenster und rollte weiter. Eine Trillerpfeife ertönte. Ich hatte nur noch wenige Meter bis zum Westen. Ein Grenzer hetzte hinter mir her. Das fehlte mir noch, dass der jetzt den Wagen filzte. Mein Hemd war langsam schweißgetränkt.
»Sie sind doch der Mann von gestern Abend. Der das Jahnstadion gesucht hat?« Er beugte sich in den Wagen. »Ich bin Jupp. Erinnern Sie sich noch? Sie haben mich doch mit diesem Schlitzauge in die Wohnung getragen.«
Nüchtern sah der Mann anders aus. Ich nickte pflichtgemäß.
»Sie sind heute Abend Olgas Gast. Als kleines Dankeschön. Sie kommen doch, oder? Es gibt den besten Gemüseeintopf
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